STREECK-FISCHER, Annette: Adoleszenz und Trauma [Fachbuch]
Annette STREECK-FISCHER (Hrsg.):
Adoleszenz und Trauma
(Göttingen 1998)
Der Band enthält überarbeitete Referate wichtiger, zumeist psychoanalytisch orientierter, PsychiaterInnen, unter anderem:
- ein Referat zu neuen Forschungsergebnissen zur Psychobiologie traumatischer Erinnerungen (aufgrund von Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren) des weltweit führenden Spezialisten für die Neurophysiologie von traumatischem Streß, Bessel A. van der KOLK (und MitarbeiterInnen),
- von Peter FONAGY (Psychoanalytiker und Bindungsforscher) eine Überblicksdarstellung zum Thema: Frühe Bindung und Bereitschaft zu Gewaltverbrechen,
- von dem Kinder- und Jugendpsychiater Dieter BÜRGIN die Darstellung seiner therapeutischen Herangehensweise bei traumatisierten Jugendlichen. Bürgin hält nuancierte Affektabstimmung und gemeinsam geteilte intersubjektive Erfahrungen für besonders wichtig, um das in der Vorgeschichte immer wieder gestörte Selbstempfinden zu aktivieren. (Diese löbliche Absicht kam allerdings zumindest für mich in der vorgestellten Fallvignette kaum rüber. Weit größeren Gewicht wird dort gelegt auf die hieb- und stichfeste psychoanalytische Interpretation der subjektiven Erfahrungen seiner Klientin.)
- Annette STREECK-FISCHER zeigt am Fallbeispiel, wie mißhandelte/traumatisierte Kinder manchmal eine Beziehungsstörung in Form einer massiven vordergründigen Anpassung bzw. Angleichung an die jeweiligen Verhältnisse entwickeln, eine "Schein-Normalität", von der abgetrennt ganz andere (z.B. antisoziale und gewaltbereite) Persönlichkeitsaspekte existieren. (Möglicherweise geht es dabei um dissoziierte Ego States?)
In einem zweiten Beitrag stellt sie, nuanciert und wohl sehr hilfreich für die therapeutische Praxis, spezifische Probleme der Diagnostik und im Umgang mit traumatisierten Jugendlichen dar.
- Gertrud HARDTMANN stellt Schritte der therapeutischen Begleitung einer Klientin mit zeitweiligen psychotischen Dekompensationen vor. Sie macht deutlich, wie tiefgreifend traumatische Erfahrungen die Beziehung zu sich selbst und zu anderen zerstören können. (Siehe auf dieser Liste: FOUDRAINE.)
Die Arbeiten setzen teilweise solide Grundkenntnisse psychodynamischer Funktionen voraus.
(Als befremdlich empfand ich, daß in mehreren Beiträgen gewisse typische Schwierigkeiten in der Adoleszenz wie selbstverständlich als "ausgelöst durch die psychobiologischen Reifungsvorgänge [Streeck-Fischer] bzw. "durch die physische Reifung der generativen Funktionen" [Bürgin] (was für eine Formulierung!) interpretiert werden. – Selbst bei diesen prominenten Kinder- und Jugendpsychiatern bleibt die schmerzhafte Konfrontation vieler Jugendlicher mit den normalpathologischen Entfremdungs- und Verdinglichungsphänomenen der Erwachsenengesellschaft diskret außen vor, ganz zu schweigen vom genuinen Impuls junger Menschen, eigene Werte, Ziele, Begabungen zu verwirklichen, die dieser gesellschaftlichen Normalität aus gutem Grund entgegenstehen. – NINIVES, eine Hausbesetzerin in Berlin 1980, brachte es seinerzeit so auf den Punk(t): "Nicht die Pubertät ist die Krise der Jugendlichen, sondern die Kriege der Erwachsenen sind es!")