Jey: Gedanken über ritualisierte Gewalt
Seit geraumer Zeit sitze ich vor dem leeren Blatt und überlege, mit welchen Worten ich die Kategorie „über mich“ füllen möchte.
Nicht, dass ich nicht wüsste, wer ich bin. Vielmehr frage ich mich, in welche Kategorien ich mich einordnen möchte und welche Aussagekraft diese haben...
Ich, in ritualisierten Gewaltkontexten aufgewachsen ist, habe lange überlegt, aus welcher Perspektive ich über (ritualisierte) Gewalt berichten möchte.
Schreibe ich aus meiner Betroffenheit heraus, oder aber als Person, die sich viel mit diesem Thema auseinander gesetzt hat?
Lange Zeit begleitete mich ein ungutes Gefühl mich als Betroffene* zu „outen“.
Die Angst als Opfer* stigmatisiert zu werden, sowie die Angst nicht ernst genommen zu werden als Basis dieses Gefühls.
Doch ich habe viel zu lange geschwiegen. Viel zu lange die Gewalt mitgetragen. Ja, viel zu lange habe ich mir Raum nehmen lassen.
Nicht nur durch die Täter*, sondern auch durch das erdrückende Hilfe-/Psychiatriesystem. Lange Zeit hatte ich das Gefühl, von einer Käseglocke in die nächste geschoben worden zu sein.
Doch wo war ich, in diesem ganzen Prozess?
Erst als ich anfing mich mit verschiedenen Sozialisationsaspekten zu beschäftigen, fing ich an mich langsam von den Gewalterfahrungen zu emanzipieren.
Zeitgleich erkannte ich die Zusammenhänge zwischen dieser Gesellschaft und den Täter*ringen, in denen ich groß wurde. In vielen Therapien hatte ich das Gefühl, dass diese nicht beleuchtet wurden. Mir aber halfen sie zu verstehen.
Es entstand ein immer lauter werdendes Gefühl in mir, dass Diagnosen gesellschaftliche Missstände zu deckeln versuchen, indem traumatische Erfahrungen individualisiert werden.
Ich möchte eine Stimme bekommen. Meine Stimme um Tabu-Themen zu brechen und mir endlich den Raum zu nehmen, welcher so lange genommen wurde.
Ich habe angefangen zu schreiben. Es war mir wichtig, nicht ausschließlich über meine Erfahrungen zu berichten, sondern diese auch in einen gesellschaftspolitischen Kontext zu setzen.
Ritualisierte Gewalt ist nichts, das in einer anderen Galaxie passiert. Nein, sie spielt sich hier ab!
Vielleicht erscheint es wie eine Parallelwelt, aber ich denke, umso mehr Menschen ihr Bewusstsein verschärfen, umso schwieriger wird es für die Täter*.
Ich habe Gewalt erfahren... Aber was kommt dann?
Eine Frage, die sich sicherlich viele von Gewalt betroffene Menschen stellen.
Ich habe dies lange Zeit gemacht.
Wenn du Fragen hast oder „einfach“ etwas loswerden möchtet, schreibt mir gerne unter
Egal ob ihr Gewalt erlebt habt, es vermutet oder Betroffene unterstützt.
Jey