FERENCZI, Sandor: Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind
in: Sándor Ferenczi: INFANTIL-ANGRIFFE. - Über sexuelle Gewalt, Trauma und Dissoziation (Berlin 2014)
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1896 formulierte Sigmund FREUD in seinem Aufsatz "Zur Ätiologie der Hysterie" (u.a. in: "Schriften zur Krankheitslehre der Psychoanalyse", fischer-Taschenbuch 10444) in aller Eindeutigkeit den Zusammenhang gewisser "schwerer neurotischer Erkrankungen" mit unangemessenen (traumatischen) "sexuellen Erfahrungen am eigenen Leib, (...) geschlechtliche(m) Verkehr (im weiteren Sinne)", initiiert durch Erwachsene. – Im September 1897 distanziert sich Freud ebenso eindeutig von der (damals sogenannten) Verführungstheorie. Von da an baut er seine Triebtheorie aus, durch die er Erinnerungen an traumatischen sexuellen Mißbrauch interpretieren kann als neurotischen Konflikt innerpsychischer Instanzen (z.B. "Ödipuskomplex").
In der weiteren Entwicklung der psychoanalytischen Theorie und Therapie wurde die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit sexueller Traumata im Kindesalter ziemlich konsequent vernachlässigt und geleugnet; - theoretisches Dogma und allgemeine gesellschaftliche Tabuisierung gingen Hand in Hand. –
Als wohl einziger bedeutender Psychoanalytiker um Freud versuchte Sándor FERENCZI, diese verhängnisvolle Weichenstellung zu verhindern. Sein Vortrag von 1932 berichtet von "fast halluzinatorischen Wiederholungen traumatischer Erlebnisse, die sich in meiner Praxis zu häufen begannen". Entgegen dem psychoanalytischen Konsens nimmt Ferenczi solche KlientInnen ernst: "Vor allem wurde meine (...) Vermutung, daß das Trauma, speziell das Sexualtrauma, als krankmachendes Agens nicht hoch genug angeschlagen werden kann, von neuem bestätigt."
Sein letzter Vortrag 'Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind' ('The Confusion of Tongues Between Adults and Children: The Language of Tenderness and of Passion') von 1933 formuliert in aller Klarheit Grundprobleme, durch die er noch heute zu den relevanten traumatherapeutischen Arbeiten gezählt werden kann: Schädlichkeit von vorzeitigen Abreaktionen, traumatische Übertragung, Identifizierung mit dem Aggressor, Introjektion des Schuldgefühls, therapeutische Realbeziehung und korrigierende Beziehungserfahrung statt Abstinenz und Deutung, therapeutische Regression, Wahrhaftigkeit des Therapeuten, ich-strukturelle Schwäche, Parentifizierung des Kindes, Abspaltungen von traumabezogenen Teilpersönlichkeiten.
Sándor Ferenczi wird heutzutrage zunehmend als Mitbegründer einer eigenständigen Psychotraumatologie erkannt. Die internationale Ferenczi-Konferenz in Toronto (2015) hat genau diesen Schwerpunkt!
Achtzig Jahre therapeutischer Ignoranz wären frühtraumatisierten Menschen erspart geblieben, falls die Psychoanalytiker 1932 Sándor Ferenczi besser zugehört hätten!
1985 erstmals (auf französisch) erschienen ist Sandor Ferenczis "Klinisches Tagebuch von 1932" (Frankfurt/M. 1988). Auch dieses Buch ist in mancher Weise relevant für den Umgang mit (traumabedingten) Frühstörungen. Es war lange Jahre vergriffen, jetzt als Neuauflage im Psychosozial-Verlag (Gießen 2013).
Die von D+T herausgegebene Dokumentation 'INFANTIL-ANGRIFFE. - Über sexuelle Gewalt, Trauma und Dissoziation' (Berlin 2014) enthält erstmalig alle traumarelevanten Texte Ferenczis. Dazu gehören Exzerpte aus dem Klinischen Tagebuch, mehrere öffentliche Vorträge (darunter derjenige zur "Sprachverwirrung") sowie private Notizen und Fragmente.
First edition of all trauma-related lectures and notes of Sándor Ferenzci (in German), download for free (pdf). - Première édition de toutes les conférences et notices de Sándor Ferenzci (en allemand) liés au traumatisme, à télécharger gratuitement (pdf).