GENDLIN, Eugene T.: Focusing [Fachbücher]
Eugene T. GENDLIN: Focusing in der Praxis
(Stuttgart 1999)
Ders.: Focusing-orientierte Psychotherapie
(München 1998)
Das Menschenbild, der lebendige Kern der klientenzentrierten Psychotherapie (Carl ROGERS) geht bei einer allzu pragmatischen, routinierten Anwendung dieser Methode leicht verloren. Focusing, Eugene Gendlins Weiterentwicklung des klientenzentrierten Ansatzes, legt besonderes Gewicht auf diesen Aspekt, auf die therapeutische Grundhaltung. Die interaktionelle Tiefe der Begegnung zwischen KlientIn und TherapeutIn entsteht gerade aus der bedingungslosen Akzeptanz des Klienten sowohl hinsichtlich seiner gegenwärtigen existenziellen Wahrheit als auch in seiner Suche nach Veränderung (Lebensglück, Gesundung, Heilewachsen). Erst der Verzicht des Therapeuten/der Therapeutin auf den Anspruch, Veränderungen "am Klienten" bewirken zu können (oder zu sollen), öffnet einen Freiraum der therapeutischen Beziehung, in den beide Beteiligte in höherem Maße ihre individuellen Ressourcen einbringen können. Dieses existenzielle "Da-Sein" des Therapeuten ist gerade in der Therapie mit traumatisierten Menschen unabdingbare Voraussetzung jeder seelischen Unterstützung.
'Focusing in der Praxis' enthält Mitschriften von Vorträgen und eignet sich in besonderem Maße, Gendlins vielleicht paradox anmutende therapeutische Haltung nachzuvollziehen. Es bietet eine nuancierte Einführung in verschiedene Aspekte dieser schulenübergreifenden Methode.
'Focusing-orientierte Psychotherapie' stellt demgegenüber systematisch die einzelnen Schritte und Nuancen des therapiebezogenen Focusing-Prozesses dar. Anschließend werden Möglichkeiten aufgezeigt, diesen in den Kontext verschiedener therapeutischer Schulen zu integrieren.
Zur Methode selbst:
"Fokussiert" wird bei Gendlins Ansatz auf jenes ganzheitliche innere Gefühl ("Felt Sense"), das uns alle bei relevanten Lebensäußerungen begleitet. Durch die Aufmerksamkeit auf solche "Bauchgefühle" können seelische Blockaden, Ängste oder Projektionen von innen her, zunächst nur als diffuse Empfindung, bewußt werden. Deutungen, Interpretationen, Schlußfolgerungen urteilen von außen. Beim Focusing horcht die/der Betroffene selbst in ihre eigene problematische/unklare Verhaltensweise oder Empfindung hinein, um deren innere Dynamik ans Bewußtsein zu holen.
Im übrigen liegt bei Gendlins focusing-orientierter Therapie das hauptsächliche Augenmerk des Therapeuten/der Therapeutin auf den zutage tretenden positiven Lebensäußerungen, den individuellen Ressourcen. An belastenden ("pathologischen") Momenten muß gearbeitet werden nur, weil diese die Entfaltung der ganzen Person (des "Wahren Selbst") behindern!
"Die Aufmerksamkeit eines Menschen hat etwas Geheimnisvolles an sich, das uns befähigt, mehr wir selbst zu sein, als wir es allein sein können." – Die ungeteilte Zugewandtheit eines Gegenüber ermöglicht der Klientin, sich selbst möglichst ungeteilt den Botschaften ihres Innern zuzuwenden. Solche Sensibilisierung für noch "unentfaltete Komplexität von Lebensaspekten" (Gendlin 1999, S.189) ist Mittelpunkt des Focusing. Inwieweit auf solche Weise Bewußtgewordenes dem Therapeuten dann auch mitgeteilt wird, ist dabei sekundär. (Deswegen kann Focusing besonders hilfreich sein, wenn das Aussprechen bewußtgewordener traumatischer Erinnerungen noch nicht möglich ist.)
"Wir werden alle mit der Fähigkeit geboren zu wissen, wie wir uns jeweils fühlen. Für die meisten von uns haben allerdings schmerzhafte Erfahrungen in der Kindheit oder später bewirkt, daß wir das Vertrauen in unseren Körper und unsere Gefühle verloren haben." (A.W.CORNELL: 'Focusing – Der Stimme des Körpers folgen', Reinbek 1997)
Focusing als ganzheitliche Aufmerksamkeit für das eigene Befinden ist eher ein Menschenbild als eine Methode. Ich sehe bedeutsame Zusammenhänge sowohl zu traditionellen spirituellen Erfahrungen (RAMANA MAHARSHI, OSHO) als auch zu gegenwärtigen Konzeptionen eines "Leibsinns" in bewußter Abgrenzung zum einseitig begrifflich-logischen Denken. (Vgl. A.STOPCZYK: 'Sophias Leib', Heidelberg 1998)
Therapeutisch-methodisch sehe ich eine Analogie zur "Core-Transformation" von A. & C. ANDREAS (siehe hier auf der Liste).
(Achtsamkeit)