HART/NIJENHUIS/STEELE: Das verfolgte Selbst. Strukturelle Dissoziation... [Fachbuch]
Onno van der HART / Ellert R.S. NIJENHUIS / Kathy STEELE: Das verfolgte Selbst. Strukturelle Dissoziation und die Behandlung chronischer Traumatisierung
(Paderborn 2008)
Der von den drei bedeutenden Psychotraumatologen (auf Grundlage der Arbeiten von Pierre Janet und C.S.Myers) entwickelte Ansatz zum strukturellen Verständnis traumabedingter Symptomatik wird m.E. die psychotherapeutische Landschaft langfristig revolutionieren, - dies durchaus auch in bezug auf die Therapie von Psychosen. Nach der Darstellung der für den Ansatz grundlegenden neurobiologischen Forschungsergebnisse (siehe auf dieser Liste in: REDDEMANN/HOFMANN/GAST) legen die AutorInnen nun das inhaltliche Standardwerk dazu vor. Im ersten Teil werden sehr ausführlich die im Kontakt mit Betroffenen auffindbaren strukturell gebundenen Symptome im Sinne des Ansatzes geordnet: Emotionale Persönlichkeit (EP), Anscheinend Normale Persönlichkeit (ANP), - Primäre, Sekundäre und Tertiäre Strukturelle Dissoziation. Dies wird im zweiten Teil verbunden mit einer an Pierre Janet orientierten 'Psychologie des Handelns'. Hier geht es um Traumatisierung als Syndrom der Nichtrealisation: Traumatisierung hat Handeln unerträglich gemacht. Strukturelle Dissoziation läßt sich von daher verstehen als System phobischer Reaktionen.
Der dritte Teil des Werks unterscheidet nuanciert einzelne phobische Reaktionen (gegenüber Bindung und Bindungsverlust bezogen auf den Therapeuten, hinsichtlich traumabedingter mentaler Handlungen, hinsichtlich dissoziierter Anteile, gegenüber traumatischen Erinnerungen, hinsichtlich des normalen Lebens). An der schrittweisen Aufarbeitung und Überwindung der Phobien orientiert sich eine von den AutorInnen offenkundig erprobte therapeutische Methode.
'Das verfolgte Selbst' ist bei aller Nuanciertheit der Darstellung kein Therapie-Manual. Verdienst des Buches ist eher, eine solide Grundlage zu schaffen für die nötige Diskussion mit Professionellen, die an die Relevanz komplexer posttraumatischer Schädigungen bzw. eine entsprechend spezialisierte Traumatherapie nicht glauben mögen. Auch die Existenz von DIS ("Multipler Persönlichkeit") kann in Kenntnis der hier zugrundeliegenden neurobiologischen Forschungen kaum mehr fachlich fundiert infrage gestellt werden.
Aufgrund der in manchen Aspekten sehr eigenen traumabedingten Psychodynamik dürften vielfältige praktische Erfahrungen mit dem entsprechenden Klientel Voraussetzung für die Arbeit mit diesem Buch sein.
Den besonderen Umständen bei DIS wird die Darstellung leider nicht immer gerecht, aber irgendwo hat jedes Buch seine Grenze.
Ohne jeden Zweifel ist das Werk schon jetzt ein Klassiker der Psychotraumatologie!
>Vgl.auch: Onno van der Hart: Die Phobie vor dem Trauma überwinden (Ein Interview von Michaela Huber), online-Version: www.traumaundgewalt.de/seiten/InterviewmitOnnovanderHart.htm (11.10.07)