KNOP/NAPP/HEUBACH [Junge Menschen in der Psychiatrie]
Marie-Luise KNOPP / Klaus NAPP (Hrsg.): Wenn die Seele überläuft. Kinder und Jugendliche erleben die Psychiatrie (Bonn 1995)
Marie-Luise KNOPP / Barbara HEUBACH (Hrsg.): Irrwege, eigene Wege.
Junge Menschen erzählen von ihrem Leben nach der Psychiatrie
(Bonn 1999)
In beiden Büchern berichten Jugendliche vorrangig davon, wie die Hölle ihrer Elternhäuser (oder andere traumatische Erfahrungen) ihnen nur noch den Ausweg in krasse Verhaltensweisen, Eßstörungen, Drogen, Suizidversuche und psychische Krankheit offengelassen haben. Nach dem, was ich den Darstellungen entnehmen konnte, war die Einweisung in die Psychiatrie bei den allermeisten Kindern/Jugendlichen Ausdruck von Hilflosigkeit, Oberflächlickeit und Machtmißbrauch bei Eltern, Jugendämtern und Psychiatern.
Um aufmerksamer zu werden auf solche unangemesenen Interventionen (die nach meiner Erfahrung leider nicht untypisch sind; siehe auch hier auf der Liste: KEMPKER, STEIN), sind die Bücher unbedingt lesenswert!
Aber..
Aus meinem Brief an die HerausgeberInnen (3.Februar 2001):
Die Beiträge entsprechen Erfahrungen, wie ich sie gemacht habe bei Ausreißern in Westdeutschland und Westberlin sowie dann bei jungen PatientInnen in der psychiatrischen Akutstation. Es sind (vornehmlich in "Irrwege, eigene Wege") beeindruckende, erschütternde Darstellungen. - Ich halte es aber für unverantwortlich, mit welcher Perfektion in sämtlichen Kommentartexten die zentrale Aussage in der Mehrzahl der Beiträge ausgeklammert, verschwiegen, vertuscht, - tabuisiert wird.
Dargestellt wird in erdrückender, erschütternder Deutlichkeit in allen möglichen Varianten das Versagen von Eltern, Momente von seelischer Zerstörtheit von Eltern! Die Jugendlichen sind dabei, sich genau darüber bewußt zu werden, sie stellen das dar, sie ringen darum, sich auf diese Weise endlich abzugrenzen von der qualvollen Bindung an solche Eltern – aber in keinem der Kommentare aus fachlicher Feder wird dieser Aspekt gewürdigt!
An einer Stelle wird auf den "immer wieder bequemen Weg der Schuldzuweisung an die Angehörigen" verwiesen. Ich erlebe in der Praxis vornehmlich die pauschale, bequeme Behauptung: "Sie haben es nicht besser gekonnt. Sie haben es ja gut gemeint."
Verschleiernde, tabuisierende Kommentartexte wie in beiden Büchern vermitteln den LeserInnen immer wieder neu: AUGEN ZU vor dem durch Eltern verursachten Leid! – Diese Botschaft richtet sich dann auch an MitarbeiterInnen von Jugendämtern, Verwandte, Nachbarn, FreundInnen, Gleichaltrigengruppen – an alle.
Im Übrigen: Kehrseite der Medaille "Elternschonung" ist die von der Regenbogenpresse angeheizte Pogromhetze gegen eine Handvoll "Kinderschänder" oder "Triebtäter", die in glückliche Familien eingebrochen sind wie der Wolf in den Schafstall. (Dabei ist längst bekannt, daß die meisten TäterInnen in diesem Bereich Verwandte des kindlichen Opfers oder "Freunde der Familie" sind.)
Jugendliche, die diese Bücher für sich entdecken, weil sie selbst auf dem Weg aus der Hölle ihrer Elternhäuser sind, werden durch eine solche deutliche Ignoranz zurückgestoßen in die lebenslange Erfahrung: SCHWEIGEN! Das nicht aussprechen, - denn kein Erwachsener will es hören!
KollegInnen einer kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung eines berliner Krankenhauses gaben mir unmißverständlich zu verstehen, daß viele der Kinder/Jugendlichen dort sind vor allem, um ihnen "eine Auszeit" zu ermöglichen. Daß eigentlich die Eltern behandlungsbedürftig sind, - "aber an die kommt man ja nicht ran!"
Eine Antwort auf diesen Brief bekam ich nicht, die Mitherausgeberin Knopp (Lehrerin an der Krankenhaus-Schule einer Psychiatrie) macht mittlerweile Lesetourneen mit ihren "Schützlingen".
>Vgl. auf dieser Liste: FORWARD und: SUCHEN TUT MICH KEINER sowie: SCHALLECK.