SIIRALA, Martti: Die Schizophrenie des Einzelnen und der Allgemeinheit
Martti Siirala: Die Schizophrenie des Einzelnen und der Allgemeinheit
(Göttingen 1961, Neuauflage Eschborn 2000)
Eine bedeutende Arbeit zur "Rehistorisierung" (siehe auf dieser Liste: JANTZEN/LANWER-KOPPELIN) bei Psychosen, in denen die Frage nach schlimmen/traumatisierenden Sozialisationsbedingungen immer mitspielt.
Siirala leistet einen eigenen, aufgrund seiner existenziellen Tiefgründigkeit unersetzbaren Beitrag zu einer grundlegend dialogischen Haltung (Martin Buber, Hans Trüb) gegenüber Menschen mit psychotischen Episoden. Norman ELROD referiert Siiralas Blickwinkel folgendermaßen: "Der Mensch, der in der Medizin und besonders in der Psychiatrie als ‚Fall’ gilt, bringt mit seinen ‚Symptomen’ eine Leidensgeschichte zum Ausdruck, die in wesentlichen Punkten weder mit ihm angefangen hat noch mit ihm selbst aufhören kann. Die ‚Krankheit’ oder ‚psychische Störung’ bezeichnet höchst komplizierte individuelle, kollektive und gesellschaftliche Dilemmas, die beim Individuum, einer Gruppe oder sogar einer Klasse bestehen. Meist geht man aber davon aus, daß es weitgehend nur Sache des unmittelbar Betroffenen sei, diese Verstrickungen, die man sich oft als Last vorstellen kann, zu lösen. Das dem Einzelnen zugeschobene Leiden muß jedoch in seinen individuellen, kollektiven und gesellschaftlichen Bezügen entdeckt, als psychische und soziale Pathologie untersucht und in der ‚Übertragung’ behandelt werden, wobei Übertragung hier heißt: Leidender bzw. Leidende und Helfenwollender bzw. Helfenwollende sind herausgefordert, Formen der Mitmenschlichkeit zu finden und zu praktiziern, die zu einer Neuverteilung, zu einer ‚Ent-dinglichung’ und somit zu einer Reduzierung der Last führen sollen, unter der der Betroffene bisher gelitten hat. Der Verfasser sieht in dieser Teilnahme am Tragen und Verarbeiten individueller, kollektiver und gesellschaftlicher Dilemmas eine große Chance der Lebensbereicherung für alle Beteiligten, weil oft in den Dilemmas Wertvolles steckt, das man nicht wahrnimmt und verwertet, wenn man es als Symptom der einen oder anderen Krankheit bezeichnet." (in: Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie, Band II; Zürich 1987)
Siirala, der eng mit BENEDETTI (und ELROD) zusammengearbeitet hat bei der Erprobung psychotherapeutischer Möglichkeiten bei psychotischen Patienten, steht mit seinem Buch m.E. an einer erst heutzutage aktuellen Schnittstelle von traumatherapeutischen, transpersonalen (spirituellen) und psychosentherapeutischen Entwicklungen. Arno GRUEN schreibt zur Neuauflage: "Dass Siiralas Buch wieder veröffentlicht wurde ist wunderbar." (Brief an M.v.L., 1.Januar 2002)
> (Siehe auf dieser Liste: FOUDRAINE, LAING.)