WEELE, Teo van der [Christliche Seelsorge f. Überlebende v. sex. Gewalt]
Teo van der WEELE: Schluß mit dem Schweigen. Sexueller Mißbrauch: Begleitung auf dem Weg zur inneren Heilung
(Holzgerlingen 2001)
Der Autor ist Pfarrer für die MitarbeiterInnen einer holländischen psychiatrischen Klinik und hat einen fundierten und geradezu faszinierenden Ansatz seelsorgerischer Betreuung mit Überlebenden von sexueller Gewalt entwickelt. Im Wissen darum, daß individuelle Traumatherapie nur für eine Minderheit von Betroffenen erreichbar ist, richtet sich seine Konzeption vor allem an laienseelsorgerisch Tätige. Dennoch sieht er diese Betreuung nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu Psychoatherapie.
Eigene traumatische Belastungen (Bombenangriffe im Weltkrieg, Kindheit im NS, Kinderheimterror, Eltern KZ-Überlebende) haben sicher beigetragen zur Sensibilität des Autors für dieses Themas. Tiefe mitmenschliche Achtsamkeit des Autors und psychotraumatologische Grundkenntnisse (Stand der 90er Jahre) kommen zusammen mit umfassenden praktischen Erfahrungen mit Betroffenen und in der Ausbildung von Laienseelsorgern. Aus einem undogmatischen, von ideologischen Sichtblenden offenbar kaum getrübten Blick auf Wahrheiten der Bibel bzw. des christlichen Glaubens wie auch auf die Situation von Traumaüberlebenden entfaltet sich eine kaum angemessen referierbare Fülle von höchst anregenden Fingerzeigen zu einer behutsamen, an der Individualität der Betroffenen (und ihren Ressourcen) orientierten christlich-spirituellen traumatherapeutischen Begleitung.
Nur einige wichtige Aspekte möchte ich nennen:
- > Die Suche nach der grundlegenden individuellen Unverletztheit vor oder unterhalb der traumatischen Zerstörungen, "die Schönheit im Innern, die auf Erlösung wartet", - wie sie der Autoir gelernt hat als Missionar in Thailand, in der Arbeit mit Leprakranken
- > Christlicher Glaube kann verstanden werden als "christliche Kultur", die als solche eine spezielle Ressource darstellen kann (auch dieser kultursensible Ansatz entstand während der missionarischen Tätigkeit)
- > Angesichts der Notwendigkeit, neue Werte zu finden, um die grundlegende Wertezerstörung durch die sexuelle Gewalt/Grenzüberschreitung zu überwinden, kann auch im christlichen Glauben ein solcher übergeordneter Wert liegen.
- > Die Möglichkeit christlicher Gemeinden (oder "der Kirche"), Gemeinschaften als heilende Beziehungsräume zu bilden. Dies wird besonders relevant, da indidividuelle Traumatherapie nur für eine Minderheit von Betroffenen erreichtbar ist. (Könnte auch im Zusammenhang mit 'Sozialem Trauma' relevant werden, vgl. auf dieser Liste Anngwyn St. JUST.) Der Autor betont jedoch, daß traumaorientierte Laienseelsorge individuelle Psychotherapie nicht ersetzen soll und kann.
- > Die "Gegenwart Jesu" (oder "Gegenwart Gottes") kann für Traumaüberlebende zum 'sicheren Ort' werden: es kann ein "Mächtiger Friede" entstehen.
- > Der Autor geht offen und in seltener Unbefangenheit um mit drei Tabuthemen: Täter in Kirchenkreisen, - männliche Opfer, - weibliche Täterinnen.
Leider etwas unkritisch reproduziert er Argumente der 'False Memory'-Parteigänger.
Ein wunderbares Buch, bei dem tiefe zwischenmenschliche Achtsamkeit des Autors, offensichtlich fundierte psychotraumatologische Kenntnisse und sehr viel praktische Erfahrung nit Betroffenen zusammenkommt mit einer undogmatischen, kreativen christlichen Grundhaltung!