WILLIAMS, Donna: Wenn du mich liebst, bleibst du mir fern [Autismus, Trauma]
Donna Williams: Wenn du mich liebst, bleibst du mir fern
(München 1994)
In der Fortsetzung von 'Ich könnte verschwinden, wenn du mich berührst' beschreibt Donna Williams ihren Weg aus der Isolation der autistischen und traumabedingten Beeinträchtigungen. Wie schon in ihrem ersten Buch, wird die traumatisierende Kindheit nur am Rande erwähnt. Ich zumindest empfinde deutlich das Bemühen der Autorin, nicht als "Nestbeschmutzerin" aufzutreten und insbesondere die Mutter (als Haupttäterin) nicht "vorzuführen". In präziser Diskretion deutet die Autorin gleichwohl auf solche Zusammenhänge hin. Im übrigen dürfte sie - wohl die meisten Kinder aus traumatisierenden Elternhäusern - erlebt haben, daß die Außenwelt dieses Thema allzu gerne übersehen möchte. (Die einseitig das Thema Autismus hervorhebenden Untertitel beider Bücher wurden übrigens vom deutschen Verleger hinzugefügt!)
Deutlicher noch als in ihrem ersten Buch wird hier das fast untrennbare Verflochtensein von autistischer und traumabedingter Symptomatik deutlich. Dieser (in keiner Weise verallgemeinerbare) Selbsterfahrungsbericht beleuchtet die Frage nach dem Wesen von Dissoziation aus einem neuen Blickwinkel.
Donna Williams skizziert etliche Begegnungen mit Asperger- bzw. Hochfunktionalen Autisten, die in ihrer individuellen Mischung von Defiziten und Fähigkeiten sehr unterschiedlich waren. Insgesamt stellt sie (ähnlich wie die bekannte autistische Autorin Temple Grandin) Autismus als funktionales Defizit dar. Die gerade bei Donna Williams offensichtlichen "besonderen" Begabungen und Fähigkeiten kann ich nach Lektüre beider Bücher nur als Ausdruck ihrer gewachsenen Individualität verstehen, - nicht als ein Autismusspezifikum! Selbstverständlich waren auch die autismusspezifischen Einschränkungen und Sozialisationsgewichte Grundlage ihrer weiteren Entwicklung. -
Allerdings wird in diesem Buch deutlich, wie Donna Williams aus der Kombination von ursprünglicher sozialer Isolation ("meine Welt") und mühevollem individuellen Befreiungsweg zu einer besonderen, geradezu spirituellen Bewußtheit gefunden hat. "Die Begegnung mit Malcolm zeigte mir den Gegensatz zwischen dem, was ich früher als 'meine Welt' bezeichnet hatte, und dem, was ich jetzt die Welt des 'einfach sein' nannte. 'Einfach sein' war ein Ort der Fülle und der Schönheit, an dem Sprache, anders als in 'der Welt' üblich, nicht aus Wörtern bestehen mußte. 'Meine Welt' außerhalb des 'einfach sein' war ein Ort, an dem das einzige Glück im Nichtsein bestand und Überlebensstrategien solche Strategien waren, die die Sicherheit, die man im Nichtsein fand, aufrechterhielten." (S. 299/300 in der Taschenbuchausgabe 1996)
Wie aus ihrer eigenen Website hervorgeht, wurde im Jahr 2010 bei Donna Williams eine dissoziative Identitätsstruktur diagnostiziert. (http://www.donnawilliams.net/diagnosis.0.html)
Sehr bedauerlich, daß die Bücher von Donna Williams vergriffen sind und speziell dieses zweite auch antiquarisch nur selten zu bekommen ist.
> Vgl. auf dieser Liste: Rachel, Klaus, Moni, Lars, Habiba, Ben & Laura: 'Unser Sieg über die Rituelle Gewalt')