BLISS, Eugene + Jonathan: Prism. Andrea's World (DIS; englisch)
Jonathan Bliss & Eugene Bliss, M.D.: PRISM - Andrea's World
(Briarcliff Manor, N.Y. 1985 ISBN 0-8128-3022-9)
Eine der ersten (erzählenden) Fallberichte zum Thema DIS/Multiple Persönlichkeit, leider bislang nicht auf deutsch übersetzt. Der Autor Dr. Eugene L. Bliss ist DIS-Forscher und Therapeut der ersten Generation.
Am Anfang steht eine ausführliche anamnestische Darstellung des 'äußeren' Lebens der Patentin Andrea. Offensichtlich ist das dysfunktionale Elternhaus, deutlich werden die jahrelangen Versuche, in einem normal-angepaßten Alltag zurechtzukommen, was einerseits zur Eskalation der Symptome führt, andererseits zu einer zunehmend perfekteren Spaltung zwischen symptombestimmten Tageszeiten und einem teilweise sehr erfolgreichen Arbeitsleben. Unmißverständlich werden unangemessene, teilweise retraumatisierende Erfahrungen in der Allgemeinpsychiatrie und bei PsychotherapeutInnen dargestellt. Nuanciert und nachvollziehbar erzählen die Autoren im ersten Teil des Buches von über Jahre hinweg schrittweise aus dem Nebel des dissoziierenden Alltags auftauchenden traumatischen "Tagträumen". - Erstmalig werden Andreas innere Ressourcen gestärkt durch eine Therapeutin, bei der Akzeptanz und Parteilichkeit im Vordergrund stehen, die mehr als einen wöchentlichen Termin anbieten kann - und die rigoros aus Neuropharmaka verzichtet. Aber auch sie kommt fachlich an ihre Grenzen.
Die traumaüberlebende Frau findet Dr. Eugene Bliss. Bei ihm macht die 1948 geborene Klientin Therapie in den Jahren 1979-83. Bliss sieht oder sah das Entstehen "multiple Persönlichkeiten" als Moment spontaner Selbsthypnose. Das Buch enthält eine historische Darstellung zur Geschichte der DIS-Theapie, Janets Bedeutung wird referiert, auch Josef Breuers weithin vergessener Anteil am Verständnis für Dissoziation (und Selbsthypnose).
Dieser konzentrierte Fallbericht gewinnt durch das Abwechseln von erzählenden Passagen, Aufzeichnungen des Therapeuten und solchen der Patientin. Eugene Bliss nimmt uneingeschränkt gleichberechtigte therapeutische Beziehungen zu allen relevanten Persönlichkeiten auf. Nunanciert und nachvollziehbar werden die Schritte der hypnose-orientierte Traumakonfrontation und -integration dargestellt, wobei nicht in hypnotischer Trance befindliche Innenpersönlichkeiten bei Klärungs- und Integrationsprozessen unterstützende Funktion haben. Bereits hier findet sich die heutzutage allbekannte "Bildschirmtechnik" (als "Anschauen durch ein Teleskop"). Auch Fehlschläge und Sackgassen innerhalb des therapeutischen Weges werden nachvollziehbar diskutiert. Angesprochen werden viele einzelne, auch sozial bedingter Krisen innerhalb der Therapie.
Immer wieder finden sich bedenkenswerte therapeutische Erfahrungen, z.B.:
* die Hypnotisierbarkeit der Kleintin wurde geringer, nachdem die konkreten Traumaintegrationen notwendigerweise zu Streß führten.
* Aufgrund bestimmter sozialer Imstände (in diesem Fall: rigide katholische "Sünden"-Ideologie in der Kindheit) kam es zu einer hermetischen dissoziativen Abspaltung bei der Außenperson. Einzig möglicher Ausdruck des Traumamaterials waren die krassen Selbstverletzungen. (Vgl. den wohl ähnlichen Zusammenhang bei Gabi Lummas, in der Literaturliste)
* Bei den Innenpersönlichkeiten zeigen sich polare Funktionen, die einander relativieren und dadurch das multiple System stabilisieren.
"Cured? Perhaps not. But stabilized, if she's careful; back in control, if she's vigilant ; and happy, if life is good to her."
Obwohl ich mit Sicherheit viele wichtige Nunacen aufgrund meiner mangelnden Englischkenntnisse nicht mitbekommen habe, war dies eines der spannendsten Bücher zum Thema, das ich je gelesen habe. Ob es vielleicht doch noch mal übersetzt werden kann.. ?
> auf dieser Liste: Gabi LUMMAS