HUBER, Nicole: Kopf-Sprung [Betroffenenbericht]
Nicole Huber: 'Kopf-Sprung. Vom Leben nach dem Trauma'
(Aachen 2012)
Mit 27 Ausbruch einer schweren Depression, jahrelange Achterbahn lang zwischen Verzweiflung, Normalität, Angst und Lähmung, starker Leistungsorientiertheit, Medikamentierung und mehreren psychotherapeutischen Ansätzen, Alkohol, Eßstörung, zwanghaftes und selbstverletzendes Verhalten. Erst zehn Jahre später wird der Zusammenhang der Symptome mit traumatischen Erfahrungen in der Kindheit erkannt.
Nicole Hubers autobiografischer Bericht lebt nicht nur aus ihrer offensichtlichen Sprachbegabung, sondern auch aus der genauen (und selbstkritischen) Selbstbeobachtung. Er könnte hilfreich sein, um besser nachfühlen zu können, wie Menschen sich in derartigen Lebensumständen fühlen. Dargestellt werden auch hier die wohl leider typischen schlechten Erfahrungen mit reflexhaft diagnostizierenden und Medikamente verschreibenden, nicht selten indolenten Ärzten. ("Wenn Sie einen Platz in einer Klinik wollen, müssen Sie schon einen Selbstmordversuch unternehmen!")
Nicht oft genug kann betont werden, daß hinter der für Psychiater allzu selbstverständlchen depressiven Symptomatik nicht selten eine Traumafolgestörung steht, die eben nicht mit Antidepressiva kuriert werden kann. (Frau Huber wurde 12 Jahre lang das Antidepressivum Paroxetin verschrieben!)[1]
Frühe Traumatisierungen (Verkehrsunfälle, Koma, Krankenhausaufenthalt, dies auf dem Hintergrund einer schwierigen Sozialisationsgeschichte als adoptiertes Kind) werden bei Nicole Huber als Hintergrund der vielfältigen Symptomatik erst im Jahr 2010 schrittweise erkannt. Eine körperorientierte Traumatherapie (nach Peter Levines Ansatz Somatic Experiencing) wird für die Autorin zu einem auch für den Leser beeindruckenden und ergreifenden Weg aus dem Dunkel ins Licht, der selbstverständlich noch nicht abgeschlossen ist.
Die Relevanz von leib-/körperorientierter Traumaaufarbeitung und -heilung kommt in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der therapeutischen Aufmerksamkeit; Nicole Huber hat gute Erfahrungen damit gemacht.
Ein sehr lesenswertes und Hoffnung machendes Buch, in dem wie nebenbei grundlegende Zusammenhänge der Traumapsychologie vermittelt werden.
[1] Im Wikipediaartikel für Paroxetin warnen einzelne Betroffene vor heftigen Entzugserscheinungen und anderen Nebenwirkungen, die auch von Frau Huber berichtet werden; es existiert eine entsprechende Studie. Siehe: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diskussion:Paroxetin&oldid=113859695 (Diskussionsstand 6.2.2013)