GRÄBENER, Jens: Umgang mit traumatisierten Patienten [Ratgeber]
Jens Gräbener: Umgang mit traumatisierten Patienten
(Köln 2013)
Der Autor ist Psychotherapeut und Leiter eines berliner Krisendienstes. Sein Ratgeber (in der Reihe "Basiswissen" des Psychiatrie-Verlages) richtet sich an professionelle HelferInnen im Bereich Psychiatrie und Sozialpsychiatrie, bei Krisendiensten und in psychosozialen Beratungsstellen. Kompakt und zugleich flüssig informiert er über Traumaursachen, Störungsbilder und Bewältigungsmöglichkeiten. Auch typische paradoxe und für Außenstehende oft sehr irritierende Aspekte von Traumafolgestörungen werden vermittelt.
Insgesamt geht Gräbener konsequent von der Alltagserfahrung nicht-traumaerfahrener LeserInnen aus; notwendige psychologische Fachbegriffe werden in den Text geradezu "hineinverwoben", sodaß die Erläuterungen wohl auch ohne psychotherapeutische Vorbildung nachvollziehbar werden. In angemessener Gewichtung wird auf die typischerweise auftretenden Übertragungsphänomene (Täter, Opfer) sowie Gegenübertragungen (Abwehr/Überidentifikation, Konflikte im Team, eigenes Täterverhalten, sexuelle Impulse) hingewiesen. Gut gefallen hat mir auch der explizite Widerspruch gegenüber bestimmten populär gewordenen Interpretationen mancher Phänomene. ("Na ja, Borderliner sind eben Spalter, da muß man als Team aufpassen!")
Im Zusammenhang mit Dissoziation geht es leider im wesentlichen nur um negative Symptome (Depersonalisation und Derealisation). Bei komplexen Traumafolgestörungen (auch bei Borderline) haben wir aber meist auch mit "aktiven" Abspaltungen zu tun, also Persönlichkeitsanteilen (Ego States oder ANP/EP im Sinne der Strukturellen Dissoziation), d.h., die PatientInnen verhalten sich in bestimmten Situationen in konsistenter Weise völlig anders als in einer anderen Situation. Gerade im psychiatrischen Stationsalltag wird diese Form von (struktureller) Dissoziation relevant auch in der Kommunikation mit dem Pflegepersonal.
Beim Pflegepersonal liegt eine deutliche Schwäche des Buches. Es wendet sich doch eher an Stationsärzte der Allgemeinpsychiatrie, an klinische Psychologen und Sozialarbeiter. Gerade traumatisierte PatientInnen orientieren sich mit ihren vielfältig labilisierten Bindungs- und Beziehungserfahrungen aber im allgemeinen stark am "niederschwelligen" Personal. Da der "gesunde Menschenverstand" und die allgemeine soziale Alltagserfahrung (ansonsten das große Plus des Kontakts mit Pflegepersonal!) diesem Klientel gegenüber jedoch oft versagt, sollten gerade Schwestern und Pfleger im Umgang mit traumatisierten Patienten unterstützt werden.
Zweckmäßig wären für eine erweiterte Neuauflage auch Hinweise auf traumaadaptierte klinische Sozialarbeit sowie Traumapädagogik. - Aber auch jetzt schon: ein hilfreiches Büchlein - und wieder ein Anzeichen, daß sich die Sozialpsychiatrie sacht dem Thema Psychotrauma öffnet!