HEMMANN, Tino: Hugo. Der unwerte Schatz
Die leider sehr realistische Geschichte eines fiktiven leipziger Jungen, geboren 1931, Opfer der organisierten Ermordung von beeinträchtigten Menschen während des Nationalsozialismus, hier: in der Tötungsanstalt Sonnenstein (Pirna), in der 13720 Menschen durch Vergasen getötet wurden.
Hugo ist nicht beeinträchtigt; er wurde im Elternhaus körperlich und seelisch mißhandelt. Dadurch hat sich in ihm eine dissoziative Teilpersönlichkeit ausgebildet, Fritz. Durch die zunächst offenen "Selbstgespräche" des Jungen werden Erwachsene aufmerksam. Einer jener Ärzte, die die Mordaktionen leiten, ist scharf auf Hugos Gehirn – zur Autopsie, um eine "wissenschaftliche" Arbeit schreiben zu können über das spektakuläre Phänomen der multiplen Persönlichkeit. – Diese Grundkonstellation wird in einer berührenden Handlung bis zu ihrem traurigen Ende gebracht.
In nüchternen Einschüben werden wir kontinuierlich an die zeitgleichen Erfolge des NS-Regimes auf anderen Gebieten erinnert – und damit auch an die Situation von Personen, die diese Mordaktionen ablehnten. Ein Epilog referiert Zahlen und Tatsachen der als "Euthanasie" bezeichneten Mordaktionen.
Manche Passagen geben das Innengespräch der beiden multiplen Teilpersönlichkeiten wieder, dann auch Angstphantasien und Träume (in denen das Kind gelegentlich Zukünftiges vorhersieht.. hm?). Kaum bedeutsam für die Handlung ist, daß der Junge als hochbegabtes Wunderkind profiliert wird. Und dann gibt es noch eine Episode mit einem sexuell mißbrauchenden Priester.
Zweifellos gelingt es dem Autor, Mitgefühl, Solidarität und Empörung beim Leser zu wecken. Aufgrund seiner gradlinigen Haupthandlung, der zumeist einfachen Sprache und die berührende Identifikationsfigur Hugo (und Fritz) ist das Buch einerseits sicher gut geeignet für Jugendliche.
Insgesamt wirkt diese Erzählung allerdings handwerklich sehr uneinheitlich. Die Sprache ist zumeist (aber nicht überall) einigermaßen hausbacken, manche Situationen sind unwahrscheinlich, nicht zu Ende gedacht. Nicht zuletzt die Kombination dreier derart schwieriger und keineswegs selbstevidenter Probleme (hochbegabtes Kind, Multiple Persönlichkeit, Praxis der NS-"Euthanasie") hat den Autor meines Erachtens überfordert.