MILLER, Alison: Werde, wer Du bist. Mind-Control und Rituelle Gewalt überwinden
(Kröning 2016)
Auf das umfassende Fachbuch der bedeutenden Traumatherapeutin (Jenseits des Vorstellbaren. Therapie bei Ritueller Gewalt und Mind-Control, 2014) folgt nun beim selben Verlag ein ebenso tiefgründiges Arbeitsbuch für die therapeutische Praxis wie auch zur Selbsthilfe für Betroffene.
Um gesamtgesellschaftlich Möglichkeiten und Wege zu schaffen, Überlebenden von Ritueller Gewalt (und Mind Control) ergebnisorientiert zu helfen, sie überhaupt zu erkennen, müssen die Abläufe solcher verbrecherischen Konditionierung und Folter zunächst einmal für eine (zugewandte) Öffentlichkeit vorstellbar werden. Mit dem sogenannten "gesunden Menschenverstand"“ ist kaum glaubhaft, wie Täter vorgehen, daß und wie es zu derartigen seelischen (und körperlichen) Zerstörungen kommen kann. Zu solchen öffentlichen Lernprozessen trägt weltweit vielleicht keine Autorin mehr bei als die kanadische Psychotherapeutin Alison Miller.
Hier behandelt die Autorin auf mehr als 500 Seiten Schritt für Schritt die relevanten Aspekte von Ritueller Gewalt und Mind Control, Möglichkeiten für Betroffene, Konditionierungen im eigenen psychischen System zu erkennen, Gegenkräfte zu entwickeln, Ressourcen aufzubauen – und vieles mehr. Dabei richtet Alison Miller sich sprachlich durchgängig an die Überlebenden, oft an höherrangige, auch täteridentifizierte Anteile. Ohne eine Spur von abgehobenem Fachjargon, bleibt die Darstellung der teilweise äußerst komplexen Zusammenhänge klar übersichtlich. Fast meinen wir, die Autorin sprechen zu hören. (Hier ist auch den Übersetzerinnen zu danken!) Viele Kapitel enthalten Beiträge von Überlebenden, die ihre individuelle Erfahrung schildern, aufgelockert bzw. konzentriert wird das Material durch Übungen; im Anhang finden sich zwei Fragebögen, Literaturlisten und Sachregister.
Die Fülle des Inhalts wirkt zunächst allerdings überwältigend. Den meisten Nutzen wird dieses Kompendium wohl haben als Arbeitsbuch in der strukturierten therapeutischen Interaktion zwischen KlientInnen und TherapeutInnen: einzelne Kapitel können der Klientin/dem Klienten als Fotokopie an die Hand gegeben und zugleich gemeinsam durchgegangen werden. Es ist wirklich ein Arbeitsbuch, ein Nachschlagebuch für die Praxis – eine Art "dritte Stimme", deren Hinweise sich Betroffene wie Therapeutin bei bestimmten inhaltlichen Schwerpunkten der therapeutischen Arbeit gemeinsam anhören können.
Statt inhaltlicher Kommentare verweise ich auf meine Rezension des 2014 erschienenen Fachbuchs; vorbehaltlos korreliert die Darstellung auch hier mit meinen Erfahrungen (aber geht natürlich weit über sie hinaus!). – Um den Preis des dicken Buches in einem erträglichen Rahmen zu halten, wurden Übersetzung und Korrektur unentgeltlich geleistet; da mag ich eigentlich nicht meckern, dennoch: hier sollte in einer nächsten Auflage nachgebessert werden. Alles möglicherweise Irritierende wie mißverständliche Bezüge, inkonsistente Schreibweisen (Du/du, Sie/sie), manche holprige Stellen und fehlende Kommata sollten gerade bei diesem Buch vermieden werden. Und in eigener Sache: Bei den Literaturangaben habe ich die Dokumentation von Rachel & Laura: "Unser Sieg über die Rituelle Gewalt" (Berlin 2012) vermißt.
Das ändert aber nichts an der überragenden Bedeutung dieses Werkes, das – wie schon Alison Millers zuvor erschienenes Fachbuch – sicher für viele Jahre fachlicher Standard für die Therapie bei Ritueller Gewalt und Mind Control bleiben wird!
Die Kapitel sollen immerhin durch ihre Überschriften präsentiert werden: Symptome, Erinnerungen und Beweise – Das Ringen um Heilung – Dissoziation, Multiplizität ("Viele-Sein") und Persönlichkeitssysteme – Gezielt erzeugte multiple Aufspaltung: Persönlichkeitssysteme, die durch Mind-Control geschaffen werden – Indoktrinierung – Sally aus drei verschiedenen Perspektiven – Innere Hierarchien – Mit den ranghöheren Anteilen sprechen – Sicher vor den Tätern bleiben – Mit Triggern umgehen – Innere Gemeinschaften bilden – Mit dem Alltagsleben zurechtkommen – Gefühle – Mit Erinnerungen umgehen – Die traumatischen Erinnerungen zusammenfügen – Sich mit der eigenen Familie auseinandersetzen – Heilung der eigenen Sexualität – Mit Freundschaften und in Beziehungen zurechtkommen – Therapie und Therapeuten – Den spirituellen Missbrauch überwinden – Werde, wer Du wirklich bist.