von einem Symposion an der berliner Charité
7. Berliner Psychiatrie-Tage in der Charité (12.-14.1.2012)Symposion
'Trauma und Psyche - Interaktionen, Folgen, Überwindung'
ReferentInnen und TeilnehmerInnen dieses Symposions kamen zumeist aus dem medizinisch-klinischen Psychiatriebereich; die ReferentInnen waren vorrangig Hochschullehrer mit eigenen Forschungsprojekten, im Publikum saßen wohl auch viele PsychotherapeutInnen. Im Mittelpunkt stand die Vorstellung und Diskussion aktueller neurobiologischer, psychiatrischer und psychologischer Studien bzw. diagnostischer Instrumente. - Hier ein paar durchaus subjektive Schlaglichter:
Mechthild Wenk-Ansohn vom berliner Behandlungszentrum für Folteropfer (http://www.bzfo.de/) differenzierte in ihrem Referat unterschiedliche psychische, biografische, somatische, soziale und gesellschaftlich-kulturelle Einflußfaktoren und Stressoren bei Folteropfern aus fremden Kulturkreisen. Eine solche 'multivalente' Aufmerksamkeit könnte durchaus Vorbild sein auch für die Unterstützung/Betreuung hiesiger Traumaüberlebender, dachte ich. Auch sie bestehen nicht nur aus ihren psychiatrischen Diagnosen und Symptomen..
Anke Rohde (Gynäkologischen Psychosomatik der Universitätsfrauenklinik Bonn) (www.femina.uni-bonn.de) berichtete von PTBS im Zusammenhang mit problematischen Geburtserfahrungen. Teilweise dürfte das mit früheren (vor allem sexuellen) Traumatisierungen zusammenhängen, aber auch Totgeburten, ungewollte Schwangerschaften, geringere Vulnerabilität (und von daher sehr viel Angst vor dem Geburtsvorgang) oder andere mit der Schwangerschaft/Geburt zusammenhängende Komplikationen könnten zu traumatischen Geburtserfahrungen führen. Untersuchungen hierzu gibt es noch nicht.
Zwei Referenten sind beteiligt an Studien zu Traumatisierungen im Zusammenhang mit Unterdrückungsmaßnahmen durch DDR-Organe. Gerade hier entstehen oft diffuse chronifizierte Traumafolgeschäden wie Verbitterung, sozialer Rückzug, die diagnostisch nur schwer zu definieren sind ("subsyndromale PTSD"). (H.Freyberger/Greifswald sowie Stefan Trobisch-Lütge/Freie Universität Berlin und http://www.beratungsstelle-gegenwind.de/)
Christine Heim (Professorin an der Charité mit langjähriger Tätigkeit in den USA) stellte u.a. eigene Studien zu neurobiologischen Folgen früher Streßerfahrungen vor. Danach zeigt sich eine bis zu vierfache Häufigkeit für spätere Depressionen bei Erwachsenen mit kindlichen Traumaerfahrungen. Die Forschungsergebnisse deuten auch darauf hin, daß es nach frühem Streß zu neuronalen Netzwerkveränderungen kommen kann. Frau Heim erwähnte den wichtigen Forschungsbereich der Epigenetik, der sehr stabile Modifikationen der DNA nach frühem Streß belegt. - Insgesamt zeigen sich frühe traumatische Erfahrungen (d.h. erheblicher Streß im frühen Lebensalter) als genereller Risikofaktor für spätere psychische und somatische Belastungen. Zweifellos stützt dies die bekannte Vulnerabilitätshypothese.
Christine Heim ist offenbar eine der weltweit führenden Forscherinnen zu neurobiologischen Folgen von Kindheitstraumata im Erwachsenenalter. Sehr angenehm war für mich ihre auch für mich als Laien nachvollziehbare Darstellung der doch komplizierten Zusammenhänge!
Christian Ottes Referat über Zusammenhänge zwischen Kindheitstraumatisierungen und körperlichen Erkrankungen (insbesondere Depression und kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt, aber auch Entzündungskrankheiten und Diabetes) knüpfte an die Darstellung von Frau Heim an. Er erwähnte Elizabeth Blackburns Telomere-Forschungen, die Zusammenhänge zwischen frühem Streß und schnellerer Zellalterung andeuten. Eine Studie von 2011 zeigt übrigens ein nochmal erhöhtes starkes Vorkommen körperlicher Erkrankungen speziell bei Überlebenden von sexueller Traumatisierung im Kindesalter. - Herr Otte (Psychiatrieprofessor an der Charité) gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß zukünftige Untersuchungen mit biologischen Markern weitere Zusammenhänge von Kindheitstraumata zu somatischen Erkrankungen im Erwachsenenalter belegen könnten.
Zumindest unter den ReferentInnen dieser Tagung schien übrigens weitgehend Konsens darüber zu bestehen, daß psychotraumatische Schädigungen (einschließlich PTSD) sich bei einer Vielzahl (je nach Untersuchung 40-60%) von klinischen PsychosepatientInnen finden lassen - sofern der Diagnostiker aufmerksam ist dafür!
Vielleicht die meisten vorgestellten Studien waren deutlich orientiert an PTSD/PTBS, dem einzigen in den Diagnosekatalogen vorkommenden spezifischen Traumafolgesyndrom. Andererseits wurde in mehreren Vorträgen betont, daß der diagnostische Blick nicht ausschließlich auf PTSD-Symptome gelegt werden darf. Bei anderen psychischen Erkrankungen (u.a. Angststörungen und Depression, aber auch subsyndromalen Störungen) gebe es in der klinischen Praxis noch zu wenig Aufmerksamkeit für einen möglichen traumatischen Hintergrund. Hervorgehoben wurde auch, daß für Traumaüberlebende nicht unbedingt die PTSD-Symptome das problematische sind, sondern ggf. andere Traumafolgen.
Möglicherweise werden allerdings die extrem durchstrukturierten, instrumentalisierten Evaluationskriterien dem vielfältig ineinander verflochtenen Geschehen bei Komplextraumatisierungen mit seinen 'Schichten' dissoziativer Abspaltungen kaum gerecht. Gerade in therapeutischen Beziehungen bei DIS/DDNOS und nach Ritueller Gewalt wirken wohl oft therapeutische Methoden in komplexer und höchst individualisierter Weise zusammen mit den individuellen Ressourcen und Erfahrungen beider Therapiepartner. Eine solche ("unmethodische") Verflochtenheit kann von normierten Evaluationsdesigns kaum abgebildet bzw. verallgemeinert werden. Auch quantitative Forschung hat ihre Grenzen..
Manchmal wurde vielleicht tatsächlich von unterschiedlichem Klientel gesprochen (der Verdacht einer Teilnehmerin). So gab es eine seltsam dichotomische Kontroverse zur Notwendigkeit von Konfrontation bzw. von Stabilisierung in der Traumatherapie. So tauchte der Begriff "Dissoziation" zwar manchmal auf, inhaltlich wurde jedoch ein großer Bogen darum gemacht (so jedenfalls schien es mir). Dissoziative Abspaltung von traumatischen Erinnerungen wurde von einem Referenten explizit bestritten, sogar das Vorkommen von traumatischer Dissoziation infrage gestellt! (Derselbe Referent, ein prominenter Forensikprofessor, hob empathisch die Folgen von Falschbeschuldigungen im Bereich sexueller Gewalt hervor: "Derjenige ist sozial tot! Der kann sich nur noch'n Strick nehmen!" - konnte aber garnicht verstehen, als im Publikum Widerspruch laut wurde, in dem auf die unvergleichbar häufigere Erfahrung hingewiesen wurde, daß betroffenen Frauen in Gerichtsverfahren nicht geglaubt wird.)
Einige Veranstaltungen des Symposions waren unterschiedlichen Aspekten praktischer Unterstützung von Traumaopfern in Berlin gewidmet. Mehrfach erwähnt wurde von referierenden MitarbeiterInnen freier Träger, daß komplextraumatisierte Menschen (im Gegensatz zu akuttraumatisierten) selbst in Berlin große Probleme haben, angemessene Therapie zu finden. Fast unmöglich scheint das zu sein für männliche Traumaüberlebende. Haben diese Männer oder Jungs sich dazuhin irgendwann prostituiert, führt dies bei Profis offenbar durchgängig zu heftiger Aversion, sich auf sie einzulassen. (http://www.hilfefuerjungs.de/)
Die bei dieser Tagung vorgestellte engagierte und tiefgründige medizinisch-psychiatrische Forschung zu Trauma hat mich beeindruckt und mir Hoffnung gemacht!
Mondrian v. Lüttichau