José Brunner: Die Politik des Traumas
Erst wenn Medien oder engagierte Aktivisten ein Bewusstsein dafür schaffen, wie psychische Leiden und Belastungen auf Viele wirken, werden diese als Traumata anerkannt. José Brunner zeigt das am Beispiel aus Afghanistan zurückgekehrter Bundeswehrsoldaten.
Im medizinischen Kontext bezeichnet "Trauma" eine durch Gewalt hervorgerufene Verletzung. Sie zu diagnostizieren ist verhältnismäßig einfach. Eine nicht sichtbare Verwundung hingegen ist das psychische Trauma. Charles Dickens beispielsweise hatte ein solches. 1865 befand er sich in einem entgleisenden Eisenbahnwaggon, der erst zum Stehen kam, als er schon zur Hälfte von einer Brücke hinunter hing. Obgleich körperlich unverletzt, hatte der Schriftsteller fortan große Schwierigkeiten, wieder einen Fuß in so ein "todbringendes Monster" zu setzen.
Zu jener Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts, erläutert der Wissenschaftsphilosoph und Politologe José Brunner nun in seinem neuen Buch "Die Politik des Traumas", habe der Trauma-Begriff Eingang in das Vokabular der Neurologen gefunden, "zur Beschreibung und Erklärung eines Zustands, in dem Menschen einen Schrecken nicht mehr loswerden können."
Und Brunner unterstreicht: Von Beginn an enthielt der Trauma-Begriff auch eine politische Dimension. Am Beispiel der in den 1970er Jahren in den USA entstandenen Begriffe des "Vergewaltigungstrauma-Syndroms" und der "posttraumatischen Belastungsstörung" analysiert Brunner, wie ein psychisches Leiden einzelner durch Aufmerksamkeit und Engagement von Teilen der Zivilgesellschaft, durch moralische Empörung und politischen Aktivismus zu wissenschaftlicher Tätigkeit führte.
Diese wiederum "übersetzte" das psychische Leid dann in eine Fachsprache und beglaubigte es so - bis dahin war vergewaltigten Frauen das Erlernen von Selbstverteidigungstechniken als Therapie empfohlen worden und traumatisierte Vietnamveteranen hatten bei Armeepsychiatern kein Gehör gefunden.
Trauma-Thema auch in Deutschland angekommen
Auch in Deutschland dauerte es lange, bis ein öffentliches Bewusstsein für die psychischen Belastungen der aus dem Afghanistan-Einsatz heimkehrenden Soldaten entstand. Maßgeblich daran beteiligt, so Brunner, waren hierzulande die Medien. Mit Fiction-und Dokumentarfilmen, Porträts und Interviews schufen sie ein Bewusstsein, auf das schließlich auch die Politiker reagierten. 2009 eröffnete der Verteidigungsminister im Bundestag eine Debatte zur Betreuung von traumatisierten Bundeswehrangehörigen - acht Jahre nach Beginn des Einsatzes.
Brunners Analysen der einzelnen Fälle unterscheiden sich stark nicht in ihrer Tiefenschärfe, allerdings in ihrem Umfang. Traumata deutscher Kriegskinder und Stasi-Opfer kommen vergleichsweise knapp zur Sprache. Doch tragen auch sie dazu bei, die Vielfalt von Trauma-Erzählungen kenntlich zu machen und die Erkenntnis zu fördern, dass diese - in Wechselbeziehung zu gesellschaftlichen Vorgängen - stets die Grenzen des psychologischen Fachbereichs überschreiten.
Der Umgang einer Gesellschaft mit Traumata erlaubt Brunner, ein deutliches Bild ihres Selbstverständnisses zu zeichnen.
José Brunner: "Die Politik des Traumas. Gewalterfahrungen und psychisches Leid in den USA, in Deutschland und im Israel/Palästina Konflikt"
Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2009
Berlin 2014: Suhrkamp Verlag