Zwanzig Jahre ESRA - Hilfszentrum für Opfer von Verfolgung, Folter und Misshandlung (Wien)
Europaweit einzigartig, auf historischem Boden
1994 wurde der Verein ESRA (hebräisch: „Hilfe“) an einem historischen Ort in der Leopoldstadt gegründet, wo Kaiser Franz Joseph im Mai 1854 den Bau einer weiteren Synagoge genehmigte. Das Ergebnis: der so genannte Große Leopoldstädter Tempel. Intention damals war es, NS-Überlebenden, unabhängig von deren Religion, Ethnie, politischer Überzeugung oder sexueller Orientierung, professionelle Beratung und Behandlung anzubieten. 1994 mit 4 Mitarbeitern begonnen, hat sich ESRA mittlerweile etabliert als „europaweit einzigartige psychosoziale Institution mit einem interdisziplinär strukturierten Angebot, das auf die ambulante Beratung, Behandlung und Therapie von Psychotraumata spezialisiert ist“, erzählt Gerda Netopil, Leiterin der Sozialen Arbeit des Zentrums. Als vorrangige Zielgruppe nennt sie „Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung und deren Nachkommen sowie Betroffene von Traumatisierungen anderer Ursachen: etwa Gewalt, Verfolgung und/oder Flucht.“
Auch bei finanziellen Problemen im Wohn- und Arbeitsbereich oder in fremdenrechtlichen Angelegenheiten können Leistungen der Ambulanz wie auch der sozialen Arbeit, je nach individuellen Bedürfnissen, in Anspruch genommen werden. ESRA ist eine gemeinnützige Organisation – seit Beginn tatkräftige und finanzielle Unterstützerin ist die Gemeinde Wien. Neben dem interdisziplinären Team aus etwa 70 MitarbeiterInnen aus Medizin, Psychotherapie, Psychologie, psychiatrischer Gesundheits- und Krankenpflege und Sozialarbeit engagieren sich FachhochschulabsolventInnen, MitarbeiterInnen der Administration, Zivildienstleistende und 20 MitarbeiterInnen des ehrenamtlichen Besucherdiensts. Im Jahr werden ca. 3.000 Personen betreut.
Behandlung von Trauma aus Krise und Geschichte
Auch wenn ESRA das Arbeitsgebiet etwa auf Kinder-, Jugend- und Seniorenarbeit, Betreuung von Katastrophenopfern oder von Betroffenen aus aktuellen Krisengebieten – auch in fachlicher Vernetzung auf nationaler und internationaler Ebene – ausgeweitet hat, was „thematisch wie inhaltlich eine Herausforderung“ darstellt, die „manchmal belastend, aber dabei immer vielfältig und sinnstiftend“ ist, bleibt die Betreuung von NS-Opfern essentiell. „Die nationalsozialistische Herrschaft hat Vertreibung, Verfolgung, Flucht, Zwangsmigration und die systematische Ermordung von Millionen Menschen gebracht. Die österreichische Gesellschaft muss sich mit diesen Traumatisierungen in ihrer Geschichte auseinandersetzen und der Verantwortung hierfür nachkommen. Anders ist eine Verarbeitung nicht möglich“, so Netopil. Sie bestärkt: „Wenn Traumata vergessen, also aus dem Bewusstsein verdrängt werden, bringt dies kurzfristig eine Linderung für die Betroffenen. Die Erinnerungen an solche Verletzungen können aber jederzeit – nicht selten Jahrzehnte später – sozusagen posttraumatisch wiederkehren. Die Störungs- und Krankheitsbilder in diesen Fällen sind dann meist sehr komplex und benötigen, je nach Schweregrad, eine umfassende traumaspezifische Behandlung und Versorgung.“
Aus dem umfassenden Bericht auf www.wieninternational.at .