Traumatische Erfahrungen bei Feuerwehrleuten - Ein Interview
So können Retter mit traumatischen Erfahrungen umgehen
Brandruinen, Autotrümmer, Tote und Verletzte: Es sind oft schreckliche Situationen, die Feuerwehrleute in ihren Einsätzen ertragen müssen. Wie gehen sie damit um? Ein Interview der BADISCHEN ZEITUNG mit Alexander Jatzki (Chefarzt der Klinik für Psychosonmatijk am Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern) über die Psyche von Rettern.
BZ: Der Alarm schrillt, die Wehrleute steigen in ihre Einsatzkleidung. Gibt es auch eine Schutzweste für die Seele?
Jatzko: Die äußere Schutzkleidung erfüllt eine wichtige Funktion – auch für die Psyche. Wenn ich Einsatzjacke und Helm anziehe, fühle ich mich anders. Dann weiß ich als Helfer, dass ich in offizieller Mission unterwegs bin. Denn sich als Retter im Einsatz zu schützen, heißt vor allem, sein privates Leben rauszuhalten.
BZ: Können Sie das genauer beschreiben?
Jatzko: Ich muss versuchen, mit so wenigen Gefühlen wie möglich die Rettungssituation zu meistern. Ein Beispiel: Habe ich selbst kleine Kinder zu Hause und kommen zu einem Unfall mit Kindern, darf ich nicht an meinen Nachwuchs denken. Den muss ich ausblenden. Je mehr Gefühl beim Einsatz mitspielt, desto schwieriger wird seine Verarbeitung.
BZ: Kann es sonst zu einem Trauma kommen?
Jatzko: Ja. Wenn Retter das im Einsatz Erlebte mit ihrem eigenen Schicksal verknüpfen, kann es im Gehirn zu Querverbindungen kommen, die sich nicht kontrollieren lassen. Das Großhirn darf nicht runterfahren, sondern muss aktiv gehalten werden. Was ist der nächste Schritt, was muss ich jetzt tun? Man muss sich auf die Abläufe konzentrieren. Sonst machen die Gefühlszentren, was sie wollen. Das darf nicht passieren. Wenn beispielsweise ein Rettungsassistent oder Feuerwehrmann einen Kollegen oder Kameraden retten muss, ist das brandgefährlich.
BZ: Was ist denn eigentlich ein Trauma?
Jatzko: Wenn in der Sekunde der höchsten Not die Abläufe im Gehirn zusammenbrechen und so Bilder und Ereignisse nicht richtig eingeordnet, sprich verknüpft werden.
BZ: Wie merkt man, dass das passiert ist?
Jatzko: Symptome für eine posttraumatische Belastungsstörung sind Vermeidungsverhalten, Übererregtsein und die immer wiederkehrenden Erinnerungen bis hin zu Flashbacks. Das sind Rückblenden, die einen das Ereignis immer und immer wieder durchleben lasen – wie wenn es jetzt und hier nochmal passieren würde.
BZ: Wie sieht die Hilfe aus? Und wo gibt es sie?
Jatzko: Falls ein schwereres Trauma – wie etwa durch die Katastrophen von Ramstein und Duisburg, aber auch durch das Busunglück 1992 bei Donaueschingen – ausgelöst wurde, geht es sicherlich nicht ohne psychologische Betreuung. Bei weniger schweren Einsätzen kann helfen, dass die Retter miteinander reden, sich austauschen. In den Gesprächen kann man Dinge gerade rücken. Das ist oft ausreichend. Es gibt aber auch Leute, die brauchen erst mal ein paar Tage für sich, auch das ist vollkommen in Ordnung. Es ist vor allem wichtig, dass sich die Helfer gegenseitig beobachten und einen Kollegen ansprechen, wenn sich bei ihm Symptome eines Traumas zeigen.
BZ: Polizisten, Feuerwehrleute, Soldaten: Bei diesen Berufsgruppen hat man harte Typen vor Augen. Können oder dürfen die überhaupt eine Schwäche zugeben?
Jatzko: Das war wirklich über viele Jahrzehnte ein Problem. Vor allem bei Polizei und Bundeswehr durfte keine Schwäche gezeigt werden. Das ändert sich zunehmend, mehr und mehr wird auf die Psyche geachtet. In freiwilligen Feuerwehren ist es lokal sehr unterschiedlich und teilweise immer noch schwierig.
BZ: Ist die Gefahr für Angehörige einer freiwilligen Hilfsorganisation, wie etwa einer Feuerwehr, höher, im Einsatz einen psychischen Schaden zu nehmen?
Jatzko: Darüber gibt es bis heute keine Untersuchungen. So wie es auch keinen Marker dafür gibt, welcher Typ Retter nach dem Einsatz ein Trauma entwickeln wird. Ein freiwilliger Helfer hat vielleicht den Vorteil, dass er nicht täglich mit Rettungssituationen konfrontiert ist, sondern in seinem Alltag, am Arbeitsplatz etwas anders sieht und erlebt. Außerdem hängt an seiner Hilfstätigkeit keine berufliche Existenz. Er kann also jederzeit aufhören, wenn er merkt, es geht nicht mehr. Aber egal, ob freiwillig oder hauptberuflich: Es muss so professionell wie möglich gearbeitet werden. Wenn Gefühle im Einsatz hochkommen, muss der Kollege rausgenommen werden. Und es gilt: Je schwieriger die eigene Lebenssituation, desto vorsichtiger muss man sein.
BZ: Und wie können die Bürger den Rettern helfen oder sie unterstützen?
Jatzko: Zum einen sollen Bürger die Rettungskräfte nicht behindern – zum Beispiel durch Gaffen. Das bringt die Helfer in zusätzlichen Stress. Wenn sich Gerettete oder Angehörige bei den Rettern melden und sich bedanken, ist dies eine sehr schöne Geste und eine Anerkennung für die geleistete Arbeit. Das kann nach schwierigen Einsätzen auch den Helfern helfen.