Langzeitstudie: Kindheitstraumata wirken Jahrzehnte nach
Kindheitstraumata wirken Jahrzehnte nach
Kann die Scheidung der Eltern noch im Erwachsenenleben schaden? Eine Langzeitstudie deutet darauf hin, dass frühe Traumata Gesundheit und Status beeinflussen.
Belastende Ereignisse aus der Kindheit könnten die Gesundheit und die Lebensumstände im Erwachsenenalter beeinflussen. Hinweise auf diesen Zusammenhang fand ein Forscherteam um die Medizinerin Cristina Barboza Solis vom französischen Gesundheitsforschungsinstitut Inserm. Die Wissenschaftler haben eine Langzeituntersuchung ausgewertet, die seit 1958 läuft. Dafür werden Daten von mehr als 7.500 Briten seit ihrer Geburt erhoben.
Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf jene Teilnehmer, die im Alter zwischen 7 und 16 Jahren mehr als zwei belastende Ereignisse im familiären Umfeld erlebt hatten. Zu der Gruppe gehören etwa vernachlässigte Kinder und solche, bei denen ein Elternteil Alkoholiker war oder in Haft kam, außerdem Mädchen und Jungen, deren Eltern sich trennten oder bei denen ein Elternteil an einer seelischen Erkrankung litt.
Gesundheit langfristig beeinträchtigt
Die Forscher prüften, ob Menschen mit solchen Vorgeschichten im Erwachsenenalter mit größeren Belastungen zu kämpfen haben. Sie untersuchten etwa, ob die Probanden Raucher wurden, Übergewicht haben, unter welchen Krankheiten sie litten sowie ihren sozialen Status und Bildungsstand. Aus solchen Faktoren errechneten die Forscher einen Wert für die sogenannte allostatische Last. Damit beschreiben Forscher die Gesamtheit aller Belastungen und stressauslösenden Faktoren, die ein Mensch im Leben erfährt und die sich etwa als chronischer Stress zeigen.
Dabei konnten Forscher Unterschiede sehen zwischen Menschen ohne und mit Belastungen in der Kindheit. Demnach sei es wahrscheinlich, dass schlimme Kindheitserfahrungen die Gesundheit langfristig beeinträchtigen. Dazu heißt es in der Studie: "Gruppen, die negative Kindheitserfahrungen erlebten, können die Kosten dafür ihr ganzes Leben tragen, was sich in ihrer physiologischen Abnutzung im Erwachsenenalter zeigt."
Die Forscher wiesen in der Studie darauf hin, dass trotz der großen Datenmenge ein Beweis für eine Verbindung zwischen Kindheitserlebnissen und späterer allostatischer Last nicht möglich war. Dennoch zeigten die Daten, dass ein solcher Zusammenhang sehr wahrscheinlich sei. Für eine Bestätigung brauche es weitere Studien.
Der Psychologe Harald Gündel vom Universitätsklinikum Ulm lobte die Studie. In der Kindheit "werden viele biologische Regelkreise und Prozesse geprägt, die Folgen für die lebenslange Gesundheit haben". Frühere Studien hätten in dieselbe Richtung gedeutet, allerdings nicht mit dieser Qualität.
"Die Untersuchungen auf verschiedenen Ebenen zeigten, dass frühe traumatische Erlebnisse im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut gehen und biologische Folgen haben, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung", sagte Gündel.
HIER der Link zum Artikel in der ZEIT vom 2. Februar 2015 (mit vielen Leserkommentaren)!