Psychiater mahnen Unterversorgung von Menschen mit Traumafolgestörungen an
Berlin – Mehr als die Hälfte aller Menschen sind im Laufe ihres Lebens mindestens einmal mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert. „Aktuell sind zwei Prozent der Bevölkerung von einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) betroffen, das sind 1,5 Millionen Menschen in Deutschland“, berichtet Iris Hauth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie , Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) beim Hauptstadtsymposium der Fachgesellschaft am Mittwoch in Berlin. Doch trotz gut evaluierter Behandlungsmöglichkeiten würden Betroffene heute noch nicht ausreichend versorgt.
Frauen erkranken nach Angaben der DGPPN dabei häufiger als Männer, ältere Menschen tendenziell eher als jüngere. Nach einer Vergewaltigung, Gewaltverbrechen oder Folter liege die Erkrankungsrate bei bis zu 90 Prozent. Besonders gefährdet seien Menschen, die immer wieder Grenzsituationen ausgesetzt sind: Angehörige der Polizei, Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks oder Soldaten der Bundeswehr.
„Zu den vulnerablen Bevölkerungsgruppen gehören auch Flüchtlinge und Asylsuchende, die sich bei ihrer Ankunft in Deutschland oftmals in einem schlechten gesundheitlichen Zustand befinden. Rund 40 Prozent haben mehrfach traumatisierende Erfahrungen gemacht. Die Rate für PTBS ist bei dieser Personengruppe im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um das Zehnfache erhöht“, berichtete Meryam Schouler-Ocak, leitende Oberärztin der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité am St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin.
Flüchtlinge hätten kaum Zugang zum Gesundheitssystem. Aufgrund von Einschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz bliebe traumatisierten Flüchtlingen der Zugang zur psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung weitgehend verwehrt, kritisierte Schouler-Ocak, die das DGPPN-Referat „Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie, Migration“ leitet. Zudem müssten interkulturelle Kompetenztrainings für Behandlerteams, Gutachter und Mitarbeiter in Ämtern zum Standard werden.
Traumafolgestörungen und PTBS lassen sich nach Angabe der Fachgesellschaft heute wirksam behandeln. Dabei sei Psychotherapie das Mittel der Wahl, vor allem wenn eine gründliche Aufklärung über das Krankheitsbild und das Erlernen von Entspannungstechniken zur emotionalen Regulation mit der sogenannten Traumakonfrontation oder -exposition einhergingen. „Traumafolgestörungen bedürfen therapeutischer Behandlung, doch die Versorgungsstrukturen in Deutschland sind nicht ausreichend darauf ausgerichtet“, bemängelte DGPPN-Präsidentin Hauth.