Psychotherapie gegen traumabedingte DNA-Schäden
Krieg, Vertreibung und Folter hinterlassen nicht nur psychische Spuren. Wissenschaftler der Universitäten Ulm und Konstanz konnten in einer Studie nachweisen, dass traumatische Erlebnisse DNA-Schäden in Immunzellen auslösen. Zugleich gelang es den Psychologen und Molekularbiologen erstmals zu zeigen, dass sich durch geeignete Psychotherapie nicht nur die psychischen Symptome von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) lindern lassen, sondern auch das Ausmaß der DNA-Schädigung deutlich reduziert werden kann.
"Viele Flüchtlinge sind schwer traumatisiert. Darunter leidet ihr psychisches Wohlbefinden, und sie laufen Gefahr, auch körperlich ernsthaft zu erkranken. Mögliche Folgen für die Gesundheit sind Infektionen, Autoimmunerkrankungen und ein vorzeitiger Beginn altersbedingter Erkrankungen wie Diabetes, Herzkreislauf-Erkrankungen und Krebs", so Professorin Iris-Tatjana Kolassa. Die Leiterin der Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie an der Universität Ulm geht davon aus, dass die Hochregulation von Stresshormonen wie Adrenalin und Noradrenalin zu mehr oxidativem Stress und vermehrten Entzündungsprozessen in den Zellen des Immunsystems führt. Die Konsequenz: das Immunsystem beginnt vorzeitig zu altern und die Anfälligkeit für Krankheiten steigt.
Lässt sich die Wirkung von Psychotherapie auf molekularer Ebene nachweisen?
Für die in der Fachzeitschrift Psychotherapy and Psychosomatics veröffentlichte Studie, die Kolassa mit Wissenschaftlern des Konstanzer Kompetenzzentrums Psychotraumatologie in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Molekulare Toxikologie der Universität Konstanz durchgeführt hat, wurden traumatisierte Flüchtlinge auf DNA-Schäden in mononuklearen Zellen des peripheren Blutes (PBMC) untersucht. Diese Zellen gehören zu den Leukozyten, den weißen Blutkörperchen des Immunsystems. Verglichen wurde dabei eine Gruppe von 34 Flüchtlingen mit schwerer Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), eine Gruppe von 31 Flüchtlingen, die zwar ebenfalls traumatische Erfahrungen gemacht hat, aber keine PTBS-Symptome zeigte, und eine Kontrollgruppe mit 20 Personen, die eine vergleichbare ethnische Zusammensetzung aufwies. Die Probanden kamen aus Afrika, Afghanistan, dem Balkan oder dem mittleren Osten kamen. Das Ergebnis: Beide Gruppen mit traumatisierten Personen - ob mit PTBS-Symptomen oder ohne - zeigten ein erhöhtes Maß an Schädigung der DNA im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Daraufhin untersuchten die Wissenschaftler, ob sich die psychotherapeutische Behandlung der PTBS auch auf molekularer Ebene niederschlägt. Zur Messung der DNA-Schäden kamen sogenannte FADU-Assays zum Einsatz. Die Abkürzung steht für Fluorescence-detected Alkaline DNA Unwinding, einer Methode zur Erfassung von DNA-Strangbrüchen, die von den Konstanzer Toxikologen Professor Alexander Bürkle und Dr. Maria Morena-Villanueva weiterentwickelt und automatisiert wurde.
"Bereits nach 4 Monaten nach Therapiebeginn wurde nicht nur die Posttraumatischen Belastungsstörung schwächer, sondern auch die DNA-Schädigung war nur noch so hoch wie bei der nicht-traumatisierten Vergleichsgruppe", erklärt die Erstautorin der Studie, Dr. Julia Morath vom Kompetenzzentrum Psychotraumatologie der Universität Konstanz. Eine Folgeuntersuchung nach einem Jahr zeigte, dass Flashbacks, Schlafstörungen, Übererregbarkeit und Befindlichkeitsstörungen weiter abnahmen und sich auch die Zahl der DNA-Strangbrüche in den untersuchten Immunzellen noch weiter reduzierte.
Das traumatisch Erlebte soll autobiografisch eingeordnet werden
Behandelt wurden die Flüchtlinge mit der so genannten Narrativen Expositionstherapie (NET), die traumatisierten Menschen dabei helfen soll, das traumatisch Erlebte autobiografisch einzuordnen. "Mit Hilfe des Therapeuten entwirft der Patient seine Lebensgeschichte als chronologische Erzählung und fokussiert dabei die traumatische Erfahrung. So sollen vereinzelte, mit starken negativen Gefühlen behaftete Erinnerungssplitter als kohärente `Geschichte´ mit der eigenen Biografie verknüpft werden", erläutert Morath, die im Sommer für ihre Doktorarbeit mit dem Dissertationspreis des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin ausgezeichnet wurde.
"Mit unserer Studie konnten wir erstmals zeigen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen traumatischem Stress und der Schädigung der DNA. Und, was wohl noch überraschender ist, dass sich traumatisch bedingte DNA-Schäden durch Psychotherapie mindern lassen", ist Kolassa überzeugt. Die Ulmer Psychologie-Professorin war von 2009 bis 2010 als Leiterin einer DFG-finanzierten Emmy Noether-Nachwuchsgruppe am Konstanzer Kompetenzzentraum Psychotraumatologie, wo sie über Trauma-bedingte Veränderungen des Immunsystems forschte. Für ihre Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Klinischer Psychologie und Molekularer Biologie wurde sie 2012 mit dem renommierten Janet Taylor Spence Award der International Association for Psychological Science ausgezeichnet.
Wäre es nicht besser, traumatisierte Menschen zeitnah zu behandeln?
Mit den Ergebnissen der von der DFG geförderten Untersuchung stellt sich für Kolassa die gesellschaftliche Frage nach der angemessenen Behandlung von traumatisch Erkrankten. "Wäre es nicht besser, traumatisierte Menschen zeitnah zu behandeln, als später schwerwiegende Folgeerkrankungen in Kauf zu nehmen", fragt sich die Ulmer Wissenschaftlerin. Die Realität sieht ihrer Ansicht nach anders aus: Noch immer sind die Wartezeiten für Psychotherapie sehr lang. Um die genauen molekularen Mechanismen der Therapie-Wirkung zu klären, besteht außerdem noch großer Forschungsbedarf. Mit ihrer neu gegründeten Arbeitsgruppe zur Molekularen Psychotraumatologie wird sich Professorin Iris-Tatjana Kolassa dieser Aufgabe in Ulm nun annehmen.
Verantwortlich: Andrea Weber-Tuckermann
3. November 2014 - Hier der Link zum originalen Artikel der UNIVERSITÄT ULM.