Gemeinschaftsorientierte traumatherapeutische Ansätze für Flüchtlinge
Gute Überlegungen zu ressourcen- und gemeinschaftsorientierten Ansätzen der Traumatherapie für traumatisierte Flüchtlinge aus Kriegsregionen. Hier geht es um SOZIALES TRAUMA, d.h., es gibt sehr viele Betroffene, die sich als Überlebende eines im wesentlichen gleichen Schicksals verstehen
Die Kritik der Autorin an einer an PTBS-Manualen orientierten defizitorientierten Traumatherapie ist jedoch auch für Traumaüberlebende bei uns relevant! - Hier ein Auszug aus dem Artikel.
Der beste Arzt ist die Gemeinschaft
Viele Flüchtlinge sind nach Monaten im Krieg und auf der Flucht traumatisiert. Doch westliche Therapien laufen oft ins Leere, weil sie von falschen Annahmen ausgehen.
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Nun saß ich auf einer Autofahrt durch Ghana neben einer Menschenrechtsaktivistin, die für eine afrikanische NGO in der Traumaforschung arbeitet. Sie fragte mich nach der Situation in Deutschland und erklärte mir, dass es problematisch ist, wenn – unabhängig vom kulturellen und sozialen Kontext – von Posttraumatischen Belastungsstörungen gesprochen wird. Dieser Diagnose liege ein Verständnis von Trauma zugrunde, das in einem ganz bestimmten historischen Zusammenhang entstanden und nicht unhinterfragt übertragbar sei.
Das Konzept der PTBS ist im Zuge der Behandlung von Kriegsheimkehrern in die USA entwickelt worden und somit auf Männer zugeschnitten, die ein stabiles Leben geführt haben, in das explosionsartig traumatische Ereignisse hereingebrochen sind. Die PTBS-Therapie geht davon aus, dass diese Männer an einem sicheren Ort behandelt werden können, nach ihrer Rückkehr in die USA. Trauma wird in diesem Konzept kurz gesagt als emotionale Reaktion auf ein schreckliches Ereignis verstanden; als eine Reaktion, die mit Symptomen wie Flashbacks, Vermeidungsverhalten, Angstzuständen und Depressionen einhergeht.
Man muss keine Expertin sein, um sich vorstellen zu können, dass ein solcher Therapieansatz für Menschen unzureichend ist, die in Situationen anhaltender Konflikte leben. Er passt auch nicht auf Menschen, die einen Krieg erfahren und das Grauen einer Flucht erlebt haben, um danach in einem Land anzukommen, in dem sie weder die Sprache sprechen noch an einem sicheren Ort sind. Ein sicherer Ort wäre einer, an dem sie verlässlich zur Ruhe kommen können, und an dem sie wissen, wie es weitergeht. Wer einmal am Lageso oder in einer der großen Notunterkunftshallen war, weiß, dass hier weder Ruhe noch Gewissheit zu finden sind.
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Die Autorin Annika Reich ist Schriftstellerin. Der Beitrag erschien in der ZEIT 16. November 2015 - HIER der Originallink!