Zusammenhang Depression - Hippocampus - Trauma
Verkleinerter Hippocampus - Die Spur führt in die Kindheit
Bei vielen chronisch Depressiven lässt sich ein verkleinerter Hippocampus nachweisen. Die Gründe dafür haben Psychiater nun möglicherweise gefunden.
Von Thomas Müller (Ärzte Zeitung online 13.5.2016 (LINK)
WIESBADEN. Psychiater können zwar per MRT in den Kopf ihrer Patienten schauen, ob sie danach viel schlauer sind, ist eine andere Frage.
So lassen sich per fMRT und strukturellem MRT zwar einige Unterschiede zwischen Gesunden und Erkrankten aufspüren, welche Bedeutung solche Differenzen für die Erkrankung haben, ist jedoch häufig unklar, zumal viele Unterschiede sehr gering oder nicht signifikant sind.
Depressionsdiagnose durch Bildgebung erleichtern
Recht konsistent wurden jedoch immer wieder deutlich reduzierte Hippocampusvolumina bei Depressiven beobachtet. Auf der Fortbildungsveranstaltung Psychiatrie Update in Wiesbaden nannte Professor Volker Arolt vom Uniklinikum Münster etwa eine Metaanalyse der internationalen ENIGMA-Forschungsgruppe (Mol Psychiatry 2015).
Diese will die Depressionsdiagnose anhand von Biomarkern aus der Bildgebung erleichtern.
Die ENIGMA-Forscher haben 15 Studien zur strukturellen Bildgebung mit rund 1730 Depressiven und 7200 gesunden Probanden ausgewertet. Dabei ergaben sich unter anderem Volumenreduktionen im Nucleus accumbens, der Amygdala und dem Thalamus. Ausgeprägt und statistisch signifikant waren die Differenzen jedoch nur im Hippocampus.
Hier wurde unterm Strich eine Effektstärke von -0,15 (Cohen's d) beobachtet, für die anderen Hirnstrukturen waren die Effektstärken maximal ein Drittel so groß.
Hippocampi nur bei Traumata verkleinert
Interessanterweise, so Arolt, waren die Hippocampi nur bei chronisch Depressiven mit wiederholten Episoden und bei einem Krankheitsbeginn vor dem 21. Lebensjahr signifikant kleiner (Effektstärke
-0,2), nicht so bei Patienten mit einzelnen Episoden oder einem Beginn im Erwachsenenalter (Effektstärken < -0,1).
Möglicherweise führen starke Stressereignisse in der Kindheit zu einer Überaktivierung der neuroendokrinen Stressachse und damit zu einer Herunterregulierung der neurotrophen Aktivität im Gehirn (Neurotrophie-Hypothese).
Genauso gut könnte es aber auch sein, dass kleinere Hippocampi zu einem früheren Beginn und ungünstigeren Verlauf der Depression führten, sagte Arolt.
Inzwischen deuten einige Studien darauf, dass es tatsächlich Traumata in der Kindheit sind, die das Hippocampuswachstum bremsen. Der Psychiater nannte eine US-Untersuchung bei 85 Depressiven und 85 gleichaltrigen gesunden Kontrollen (Neuropsychopharmacol. 2014; 39: 2723-2731).
Je schwerer das Trauma, desto deutlicher die Veränderung
Mit einem speziellen Fragebogen (Childhood Trauma Questionnaire, CTQ) wurden dabei zusätzlich psychische Kindheitstraumata erfasst. Wieder fanden die Forscher ein verringertes Hippocampusvolumen bei den Depressiven, allerdings nur bei solchen mit ausgeprägten Misshandlungen in der Kindheit.
Wurden die Fragebogenwerte berücksichtigt, ergaben sich zwischen Gesunden und Depressiven keine signifikanten Volumenunterschiede mehr. "Die Volumenminderung im Hippocampus depressiver Patienten war im Wesentlichen auf die frühkindliche Traumatisierung zurückzuführen, und nicht auf die Depression", sagte Arolt.
Zudem zeigte sich ein "Dosiseffekt". Je schwerer die Probanden - ob depressiv oder nicht - in ihrer Kindheit misshandelt worden waren, umso stärkere Atrophien offenbarten sich in frontotemporalen und okzipitotemporalen Arealen des linken Hippocampus.
Genetischer Abdruck
In einer ähnlichen Arbeit versuchten dieselben Forscher auch den genetischen Einfluss zu berücksichtigen (Psychol Med. 2016; 46(2):277-290). Sie testeten vier Gruppen: Gesunde Probanden, Depressive, gesunde erstgradige Verwandte von Depressiven sowie nichtdepressive Opfer von Kindesmisshandlungen.
Dabei fanden sie erneut eine Hippocampusatrophie bei den Depressiven, aber auch bei den nichtdepressiven Opfern von Misshandlungen.
Zugleich stießen sie auf eine ähnliche Atrophie der grauen Substanz der Insula und des orbitofrontalen Kortex bei Patienten mit Depression sowie bei den Angehörigen ersten Grades.
Dagegen zeigten die Atrophiemuster zwischen den erstgradigen Verwandten und den Misshandlungsopfern ohne Depression keine Überlappungen.
Folglich lässt sich bei Depressiven die Atrophie in bestimmten Arealen genetisch erklären, in anderen (Hippocampus) wiederum umweltbedingt.
Auch wenn noch nicht klar ist, ob und auf welche Weise solche Volumenminderungen zur Depression beitragen, sie scheinen jedenfalls ein guter Marker für die unterschiedlichen Einflüsse zu sein.