DGSP-Jahrestagung Berlin Oktober 2016
Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP)
Jahrestagung Berlin 6.-8.10.2016
(Subjektive Notizen M. V. Lüttichau und Stichworte aus Vorträgen)
- Ernst v. Kardorff: Ausweitung der Psychiatrisierung der Gesellschaft durch sozialpsychiatrischen Fortschritt?!
- Derzeit ist die Psychiatrie Sackgasse für traumageschädigte PatientInnen /mit und ohne Psychose).
- Leider auch bei Kardorff Nichternstnehmen von Trauma ("PTBS"), setzte es analog zu ADHS-Fehlpathologisierung.
- Sonderwelten, - Betroffene zirkulieren zwischen Beratungsstellen, Tagesfördereinrichtungen, "Freunden der Behinderten" – kaum Verbindung zum sozialen Quartier. Eigeninteresse der sozialen Träger am Erhalt der Arbeitsplätze, des Bedarfs..
- Problem WfB, der im Zweifelsfall alle Leute zugewiesen werden.
- Das Nichternstnehmen von Psychotrauma hat leider Tradition in Psychiatrie und Sozialpsychiatrie. Ausnahme jetzt durch das mediale Modethema Flüchtlinge, wobei es dort um andere Formen von Trauma (Akuttrauma, soziales Trauma) und andere Formen der Traumaverarbeitung (kulturell bedingt) geht.
- Michael v. Cranach: Noch immer die traditionelle und interessenbedingte Spaltung zwischen Psychiatrie und Psychotherapie – in diesen Spalt fällt gerade das Thema Trauma.
- Zugleich ist Psychotrauma ein Thema, das solche Spaltung überwinden helfen könnte, denn hier müßten die drei Bereiche: Gesellschaftlicher Alltag (Quartier, Angehörige), ambulante Unterstützung, Psychiatrische Notfallhilfe zusammenarbeiten!
- "Ambulant vor stationär" kann auch dazu dienen, in eine ambulante Nichtbetreuung/Isolation abzuschieben!!
- Andreas Heinz (Charité-Direktor): Zweifelt ziemlich pauschal die Relevanz von PTBS-Diagnose bei Flüchtlingen an (dabei hat er praktische Erfahrungen vor Ort)!! – Richtig daran ist, daß bei Akuttrauma/sozialem Trauma/anderen kulturellen Verarbeitungsstrategien von traumatischem Streß die symptomatischen Anzeichen anders sind und die PTBS-Diagnostik nicht unbedingt greift!
- Christian Reumschüssel-Wienert: "Die Psychiatrie ist nicht dafür verantwortlich, daß aufgrund der gesellschaftlichen Situation psychische Erkrankungen entstehen."
- Workshop: INKLUSION NETZWERK NEUKÖLLN (INN) (www.unionhilfswerk.de/inn)
- Entweder bestehende öffentliche Angebote öffnen/flexibilisieren für beeinträchtigte Menschen (Vermittlung durch selbst Betroffene, Peers) oder
- neue Angebote, von Anfang an inklusiv, etablieren. Problem: ein Angebot als "inklusiv" zu markieren, konterkariert die Inklusioin. Es hat zur Folge, daß nur bestimmte Menschen "ohne Behinderung" es nutzen.
- Integration = Inseln für spezielle Bedürfnisse schaffen
- Inklusion = Das einfache Verschiedensein von Menschen als Normalität anerkennen
- Das frühere "Normalitätsprinzip" (zu dem z.B.integrative Kitas/Schulklassen gehörten) meinte allerdings auch schon das, was heute unter "Inklusion" verstanden wird.
- Aber es ist auch ideologisch, davon auszugehen, daß alle Menschen das Bedürfnis haben, an den Angeboten der "Normalgesellschaft" teilzuhaben. Das gilt eventuell oft für Menschen mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung.
- Korrelation zu Adorno:
- Tauschprinzip ist allgegenwärtig in der Gesellschaft
- Dadurch Zwang zur Vergleichbarkeit aller "Werte"
- Dadurch Identitätszwang (à daher wohl auch der immer wieder dominierende Drang zu Diskriminierung/ Stigmatisierung/ Ausgrenzung)
- Daraus folgt Abgrenzung all dessen, was hierzu inkompatibel erscheint ("keinen Wert hat"/"nicht produktiv ist")
- Daraus folgt "schlechte Nichtidentität" (Nichtidentität als Widerspruch/Ausgrenzung) (--> die dann ggf. "integriert" werden soll)
- Gegenbild (gesamtgesellschaftlich wohl nur durch Auflösung des Tauschprinzips): Auflösung des Identitätszwangs
- Dann kann Nichtidentisches als "einfach Verschiedenes" nebeneinander existieren. (--> Dies meint "Inklusion"!)
- Stefan Lessenich (Soziologe):
- Aktivitätsnorm in der heutigen Sozialpolitik --> Ausgrenzung all dessen, was als "passiv" gilt.
- Unter DDR-Bürgern gibt/gab es "aktive Verlierer": Sie haben alles getan, um der neuen Norm zu genügen, und es doch nicht geschafft)
- Aber: "Es gibt erwünschte und unerwünschte Aktivierung!"
- "Inklusion": es muß konkret gefragt werden, wofür sie jeweils steht. Darf nicht für Anpassung an eine bestehende Norm stehen. (Siehe oben 6.) – Oft kommt es zum "Überstülpen von Inklusionsprogrammatiken" auf weiter bestehende Rollennormen usw. (z.B. beim Thema Gleichberechtigung von Frauen im Arbeitsleben)
- "Produktivitäts-Ideologie"!
- Film: "Das darf nicht sein! – Brandenburg sagt Nein" (Protest gegen Konzeption des Bundesteilhabegesetz) (Website der Freien Wohlfahrtspflege)
- Stefanie Graefe (Soziologin)::
- "Das unternehmerische Selbst" (Ulrich Bröckling) – korreliert in der psychosozialen Arbeit mit dem "Helfersyndrom"
- Frühere Disziplinargesellschaft führte zu "Neurose", heutige Autonomiegesellschasft führt zu Erschöpfung ("Depression").
- "Resilienz" scheint ein neues paradigmatisches Konzept in der Gesellschaft zu werden: Die Ursachen von erschöpfenden Phänomenen können bequem ignoriert werden, wenn der Schwerpunkt auf die Förderung von Resilienz gelegt wird!
- Vgl. hierzu José Brunner: Die Politik des Traumas (Berlin 2014)!
- Siehe auch Ratgeberliteratur, wo z.B. "die Unternehmerwelt" als quasi Naturphänomen dargestellt wird!
- Resilienz, Empowerment, Salutogenese.. überall besteht diese Ambivalenz!
- Graefe plädiert dafür, demgegneüber die RESISTENZ nicht zu vergessen, also Kriterien erhalten für soziale Kritik und Lebenskraft in Widerstand und Veränderung der erschöpfenden Umstände legen!
- VORKONGRESS/Forum für Studierende und junger MitarbeiterInnen im psychiatrischen Bereich ("Don't panic 2030?!"): War/ist ein eminent wichtiger Hoffnungsträger für Sozialpsychiatrie !!!!