Jugendliche und Kinder im Gefängnis: kann traumatisieren!
Gemäss Recherchen von Tagesanzeiger.ch/Newsnet werden im provisorischen Polizeigefängnis auch Jugendliche inhaftiert, obwohl dies Haftgrundsätzen widerspricht. Der Jüngste unter ihnen war elf Jahre alt. Welche Auswirkungen kann das auf die Psyche der Minderjährigen haben?
Es ist ganz sicher keine kindgerechte Unterbringung – und Elfjährige sind noch Kinder. Für Kinder und Jugendliche ist eine solche Situation emotional enorm belastend. Die Eltern oder Sorgeberechtigten sind nicht in der Nähe, was bei jungen Menschen grosse Ängste auslöst. Sie können nicht verarbeiten, was mit ihnen geschieht. Das kann wiederum traumatisierende Auswirkungen auf ihre weitere Entwicklung haben.
Wie äussert sich das?
Diese Ängste können zu wiederkehrenden Albträumen und Panikattacken führen. Wie heftig die Auswirkungen sind, hängt unter anderem davon ab, wie lange dieser Zustand der Unsicherheit andauert, ob in dem Gefängnis ein altersgerechter Umgang mit den Jugendlichen herrscht und mit wie vielen Entbehrungen die Haft verbunden ist.
Gibt es einen Erfahrungswert, ab welcher Haftdauer man bei Jugendlichen mit solchen psychischen Problemen rechnen muss?
Nein, auch ein sehr kurzer Moment in Haft kann für Jugendliche zu einem Trauma führen. Allein der Umstand, dass sie Zelle an Zelle mit einem Schwerverbrecher sitzen, kann sie zutiefst verängstigen. Aus meiner Erfahrung als Kinder- und Jugendpsychiaterin weiss ich, wie schnell junge Menschen verunsichert werden können.
Also teilen Sie die Ansicht von Juristen, dass Jugendliche leicht von den Erwachsenen beeinflusst werden können und deshalb nicht in der Nähe von erwachsenen Delinquenten inhaftiert werden sollten?
Ja, Jugendliche sind beeinflussbar, vor allem sind sie in diesem Fall in einer sehr bedrohlichen Situation, und sie wissen nicht, ob es für sie gut ausgeht. Sie haben Schuldgefühle gegenüber ihren Eltern und ihren Geschwistern, weil sie mit ihrer Tat etwas Schlimmes über die Familie gebracht haben. Sie können aber auch von Gleichaltrigen Ablehnung erfahren oder plötzlich ins Abseits geraten. Damit können sie nur schwer umgehen.
Solche Schuldgefühle kommen aber nur bei sehr jungen Delinquenten vor.
Nein, das Alter ist nicht entscheidend. Manche sind weniger weit entwickelt, als ihr biologisches Alter vermuten lässt, und sind von der Situation völlig überfordert. Nicht selten geraten sie erst durch die Haft in eine Negativspirale. Die Intervention müsste daher viel früher ansetzen, damit Jugendliche gar nicht erst mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Wir tragen als Gesellschaft eine Mitverantwortung gegenüber diesen Jugendlichen, der wir nicht gerecht werden.
Das klingt nach einer generellen Kritik an der Inhaftierung von Jugendlichen?
Natürlich bin ich der Meinung, dass auch Kinder und Jugendliche Konsequenzen für ihr Handeln tragen müssen – beispielsweise mit sonderpädagogischen Massnahmen – und ich kann verstehen, dass man ihnen mit der Haft eine Lektion erteilen will. Die Frage ist nur, ob diese Massnahmen zielführend sind. Sie werden dadurch sicher nicht gesellschaftskonformer. Junge Menschen haben ihr ganzes Leben noch vor sich. Es ist daher enorm wichtig, ihnen zu vermitteln, dass es sich lohnt, täglich aufzustehen und zur Arbeit oder zur Schule zu gehen und sich richtig und anständig zu verhalten. Das würde eher dazu beitragen, sie zu stabilisieren, als sie mit einer Haft in einen Schockzustand zu versetzen. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
Quelle: Tagesanzeiger Zürich (5.12.2016), Dr. med. Fana Asefaw