Internet-Beratung für Mädchen und Frauen
Internet als Zufluchtsort
Gewaltlos.de bietet Mädchen und Frauen anonyme Beratung
Mit der Weihnachtszeit beginnt eine besonders schwere Zeit. Während viele sich auf das Fest im Familienkreis freuen, bedeutet es für die junge Frau das Schlimmste überhaupt: Das Wiedertreffen ihres Peinigers. Die Familie ahnt nichts von dem Missbrauch. Und sie hatte lange niemanden, mit dem sie darüber sprechen konnte. Bis sie im Internet auf die Online-Beratung von gewaltlos.de stieß. Hier hat sie eine feste Ansprechpartnerin, kann sich zum Chat unter vier Augen anmelden, ihre Ängste und Qualen erstmals in einem geschützten Raum äußern.
„Rund 80 Prozent der Täter kommen aus dem nächsten Umfeld“, sagt Dilek, Diplom-Sozialpädagogin bei gewaltlos.de. Da die wichtigste Voraussetzung bei der Online-Beratung die Anonymität im Netz ist, möchte auch die Beraterin nicht zu erkennen sein. Seit 2004 gibt es die Plattform, die bundesweit die einzige in dieser Form ist. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt von mittlerweile 44 SkF-Vereinen bundesweit, mit Sitz in Köln. Für 2017 hat jüngst der Bund eine Förderung in Höhe von 500 000 Euro zugesagt. Das Geld soll einerseits genutzt werden, um das Projekt noch bekannter zu machen, außerdem kann davon eine weitere Stelle finanziert werden. Denn das Internetangebot wendet sich an Mädchen und Frauen, die von jeglicher Art von Gewalt betroffen sind – ob psychische, körperliche oder sexuelle.
„Die Mädchen und Frauen, die sich bei gewaltlos.de melden und Hilfe suchen, nutzen nur dieses Medium“, sagt Geschäftsführerin Beate Pinkert. Gerade das Internet bietet wie kein anderes Medium Anonymität. Die Hilfesuchenden sind zwischen 13 und 65 Jahren alt. Haben die Betroffenen einmal Vertrauen gefunden, fällt es ihnen leichter, über die erlebte Gewalt zu schreiben, als es auszusprechen, erklärt Dilek. „Die Frauen brauchen oft bis zu sieben Anläufe, um sich überhaupt öffnen zu können.“
Wenn man die Homepage anklickt, kommt man erst einmal in die Lobby, in der sich die Userinnen über Allgemeines austauschen können. Zwölf ehrenamtliche Mitarbeiterinnen empfangen die Besucherinnen, bieten regelmäßig so genannte „Sternstunden“ an, betreuen die Lobby zu den Chatzeiten: Denn so ist gewährleistet, dass sich die vier hauptberuflichen Beraterinnen, die sich 1,75 Stellen teilen, vollkommen den Einzelgesprächen widmen können.
Zu festgelegten Zeiten, besonders der Montagabend ist stark frequentiert, können sie sich den Hilfesuchenden widmen. „Die Besucherinnen haben immer eine Bezugsperson, die sie auch per Mail erreichen können“, sagt Dilek. „Der Chat ist der einzige Ort, an dem ich mich sicher fühle“, hat sie schon oft gehört. Für viele ist es zudem die einzige Chance, an Hilfe zu kommen. „Es melden sich Frauen, die die Wohnung nicht verlassen dürfen, junge Mädchen, die abends allein in ihrem Zimmer sitzen und jemanden suchen, dem sie sich anvertrauen können“, sagt die Sozialpädagogin.
Dabei stellt das Internet an die Beraterinnen besondere Anforderungen. „Man hört keinen Tonfall, sieht keine Gestik. Und manchmal schweigen wir auch einfach nur gemeinsam in einem Chatraum, oder ich schicke der Frau erst einmal Kraft, zünde für sie eine Kerze an“, erklärt Dilek. Allein 2015 besuchten 27 000 Userinnen den Webauftritt, ein Plus von 33 Prozent zum Vorjahr. Die Beratungs-Chats nutzten 2476 Frauen. 93,6 Prozent der Besucherinnen stammen aus Deutschland, die meisten Zugriffe erfolgen aus NRW, gefolgt von Rheinland-Pfalz und Bayern. Die Stadt, aus der die meisten Zugriffe stammen, ist Berlin, gefolgt von Hamburg und Köln. Und es besteht Ausbaubedarf.
„Viele Frauen, die sich melden, wurden vergewaltigt, aber auch sexueller Missbrauch, Stalking, Menschenhandel, psychische und rituelle Gewalt gehören zu unseren Fällen.“ Wichtig sei dabei vor allem, so Pinkert, die Frauen da abzuholen, wo sie stehen. Das beginnt schon mit der Sprache. Dilek arbeitet seit 2013 für gewaltlos.de. Seitdem ist neben der deutsch- und englischsprachigen auch eine Beratung auf Türkisch möglich. Und die beinhaltet von der Informationsvermittlung über die Unterstützung zur Selbsthilfe bis hin zur Krisenintervention und die Vermittlung an ambulante oder stationäre Hilfen. Und das zu jeder Tageszeit.
Quelle:
http://www.rundschau-online.de/25289720 ©2016