Prostitution als Reinszenierung erlebter Traumata
Bericht von einer Veranstaltung am 28.03.2014 bei Kofra, München
Anita Heiliger, Kofra, begrüßt die Anwesenden mit folgenden Worten: Im Gegensatz zu Frankreich, das nach mehr als 10 jähriger Debatte, eine klare Haltung zum Sexkauf entwickelt hat, lösen sich in Deutschland derzeit die Fronten auf – dies kann man sowohl in den Medien als auch in politischen Gremien verfolgen. Auf europäischer Ebene ist mit dem Honeyball Beschluss ein deutliches Zeichen gesetzt worden. Auch die europäischen Kampagne „Europe free from prostitution“ , der sich Kofra angeschlossen hat, setzt sich klar für ein Sexkaufverbot ein. In der gegenwärtigen Debatte in Deutschland werden die Auswirkungen der Prostitution stark verharmlost. Vie zu selten wird auch thematisiert, welche psychischen Prozesse mit der Arbeit in der Prostitution verbunden sind – mit anderen Worten: was Prostitution mit den Frauen macht. Vielleicht gelingt es, diese Prozesse in der heutigen Veranstaltung etwas herauszuarbeiten.
Ingeborg Kraus: Ich habe in meiner psychotherapeutischen Auseinandersetzung mit der Prostitution den Aspekt der „Freiwilligkeit“ in den Fokus genommen, der häufig als Abgrenzungsargument zwischen unfreiwilliger (=schlechter Prostitution) und freiwilliger (= guter Prostitution) angeführt wird. Vor allem die BefürworterInnen des Systems gehen von einer eigenständig und bewusst getroffenen Entscheidung von Frauen für dieses Gewerbe aus. Um den Begriff der Freiwilligkeit differenzierter zu beleuchten, möchte ich in die Geschichte der Psychoanalyse zurückgehen. Sehr lange wurden frühe Traumata der Frauen verleugnet und spätere Symptome der in Kindheit und Jugend erfahrenen schmerzhaften Erlebnisse als Hysterie abgestempelt. Sigmund Freud hatte zunächst ganz richtig erkannt, dass das seelischen Leiden dieser Frauen eindeutig auf sexuellen Missbrauch zurückzuführen war. Mit dieser Diagnose rührte er jedoch an ein gesellschaftliches Tabu. Viele seiner Patientinnen kamen aus der bürgerlichen Wiener Gesellschaft. Missbrauch fand oft im engeren Familienkreis statt, durfte aber nicht an die Öffentlichkeit dringen. Die damals ausschließlich männlichen ärztlichen Kollegen übten massiven Druck auf ihn aus bis er sich gezwungen sah, statt seiner korrekten Diagnose die These des „ureigenen Verlangens der Frauen nach sexuellen (Missbrauchs-) erfahrungen“ aufzustellen. Fortan hieß es, die Frauen „wollten das doch oder haben sich das vielleicht auch nur eingebildet“. Diese These wurde noch bis in die späten 90er Jahre hinein an europäischen Universitäten vertreten. Hier sehe ich eine Parallele zur aktuellen Diskussion um das Thema Prostitution: Frühe Traumata der Frauen werden verleugnet und ihnen wird unterstellt, sich prostituieren zu wollen, also wieder ein „die wollen das doch“. Hier stellt sich die Frage, ob die Umkehrung von Täter- und Opferschaft nicht erneut dazu dienen soll, ein stark tabuisiertes Feld zu schützen nämlich die männliche Sexualität und ihr widerspruchslos zugestandenes Recht auf uneingeschränkte Entfaltung.
Erst spät, in den 70er Jahren, fragten sich Therapeutinnen in Deutschland, warum geschlagene Frauen so oft zum Täter zurückkehren. Es gab immer mehr wissenschaftliche Belege dafür, dass kindliche Missbrauchserfahrungen überdurchschnittlich oft zu Missbrauchsbeziehungen im Erwachsenenalter führten. Amerikanische Studien zeigten sogar ein um 600% höheres Risiko für Opfer von Kindesmissbrauch für Gewaltbeziehungen auf und 50% aller Sexualstraftäter waren in ihrer Kindheit selbst Opfer sexueller Gewalt. Mittlerweile belegt eine überwältigende Fülle von Befunden, dass Misshandlung und Missbrauch in der Kindheit das Risiko von Misshandlungen im Erwachsenenalter erhöhen.
(...) Das gesamte Dokument ist zu finden auf der Website des KARLSRUHER APPELLS FÜR EINE GESELLSCHAFT OHNE PROSTITUTION zu finden, - genauer Standort HIER !
Siehe auch auf D+T den Menüpunkt Menschenhandel.