Gabi Lummas: WER BIN ICH? oder DAS UNGLAUBLICHE
Gabi Lummas hat Rituelle Gewalt überlebt. Sämtliche Erinnerungen daran waren bei ihr über viele Jahre vollständig abgespalten. Als einzige Botschaft von innen fungierten zunächst schlimme Selbstverletzungen seit dem neunten Lebensjahr. Später entstanden eine Fülle von Tonfiguren, die auf hohem künstlerischem Niveau inneres Leid nach außen zu vermitteln suchten. Aus Tagebüchern entstand 1999 ein erstes, recht bekannt gewordenes Buch: 'VERSCHLOSSENE SEELE'.
Zeitweise unterstützt durch Traumatherapie, begibt Gabi Lummas sich in den folgenden Jahren auf den Weg nach innen, - sie sucht nach ihrer verschlossenen Seele. Tagebuchauszüge aus den Jahren 1998-2008, Träume und Passagen aus der Traumatherapie sowie Abbildungen von Tonfiguren sind in dieser neuen Veröffentlichung zusammengefaßt. Vielleicht noch nie wurde auch nur annähernd differenziert eine derartige Selbstentwicklung dokumentiert, - eine von Verzweiflung, Resignation und wütendem Hadern mit dem Schicksal (und mit Gott) unterbrochene zunehmende Achtsamkeit für eigene abgespaltene Erinnerungen, Empfindungen und Botschaften, - Solidarität für die inneren Kinder, die Grauenhaftes überleben mußten.
Wohl kein Außenstehender ahnt, wie qualvoll für einen Traumaüberlebenden das oft jahrelange Gefangensein in den eigenen, zumeist abgespaltenen Traumafolgen ist, - Tag für Tag Ängste, unverständliche Bilder und Empfindungen, Verwirrung, hilfloses Nachdenken - und zumeist keine Begründung dafür. Niemand, mit dem man darüber sprechen kann. Immer wieder die verzagte Überlegung: Und wenn ich doch verrückt bin und mir alles nur einbilde? Bin ich eine Simulantin? - - Krasse Gefühlsschwankungen, Selbstverletzungen, Suizidgedanken, Alpträume, chronische Schlafstörungen gehören für viele Traumaüberlebende zum leidvollen Alltag des Überlebens. Sozialarbeiter, Psychotherapeuten oder Psychiater erkennen bestenfalls die PTBS-, Borderline- oder DDNOS/DIS-Symptomatik. Wie sich dissoziativ aufgespaltene Erinnerung bzw. umfassende Amnesie konkret anfühlt und welche fundamentalen Selbstzweifel allein schon dieses seelische Durcheinander mit sich bringt, läßt sich durch die vorliegende Dokumentation immerhin ahnen.
Mit unbegreiflicher Lebenskraft und viel reflexiver Intelligenz tastet Gabi Lummas sich durchs Unterholz ihrer traumatischen Vergangenheit, - mutterseelenallein, wie sie es zeitlebens nicht anders kannte. Ängste, Gedanken und Verzweiflung kreisen im Kopf, nur in winzigen Schrittchen, mit unzähligen Wiederholungen und Konkretisierungen findet sie heraus aus dem Labyrinth der dissoziativen Abspaltungen. Aufgrund der bei ihr hermetischen Blockiertheit des Körpergedächtnisses steht ein zentraler Aspekt der Traumaintegration nicht zur Verfügung. Leiten läßt sie sich von der zunehmenden Gewißheit, daß sie - als Kind! - das Schreckliche definitiv überlebt hat. Die entsprechenden Lebenskräfte sind also in ihr bewahrt; an sie gilt es anzuknüpfen. Trotz der zeitweise fruchtbaren Traumatherapie bleibt es im wesentlichen ein einsamer, gleichwohl selbstbestimmter Heilungsweg, auf dem Gabi Lummas sich bis heute befindet. Traumakonfrontation und integation entwickeln sich dabei rigoros nach Maßgabe innerer Kräfte, qualvoll langsam, oft an der Grenze zur Desintegration, andererseits als bedingungslos authentischer Nachreifungsprozeß. Bedeutsame Voraussetzung dazu war die schwere, dann aber kompromißlose Entscheidung gegen die Opferrolle und für eigene Selbstverantwortlichkeit: der Wille, Zugang zu finden zur verschlossenen Seele.
(Nachwort Mondrian v. Lüttichau)
Achtung Triggerwarnung! Das Buch enthält durchgängig deutliche Hinweise auf sexuelle Gewalt, Folter, Rituelle Gewalt!